Bosnien-Herzegowina:Erst die Flammen, dann der Schnee

Hundreds of migrants squatting in freezing weather in Bosnia

Ausharren in der Kälte: Migranten warten vor einer Essensausgabe bei der Stadt Bihać im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas.

(Foto: Marko Djurica/Reuters)

Nach dem Brand in einem Flüchtlingslager in Bosnien-Herzegowina frieren noch immer Migranten unter freiem Winterhimmel. Während Hilfsorganisationen Alarm schlagen, schieben sich Behörden gegenseitig die Verantwortung zu.

Von Tobias Zick, München

Im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina frieren weiterhin Hunderte Menschen ohne Obdach unter starken Schneefällen, viele von ihnen auch ohne hinreichende Winterkleidung, während die beteiligten politischen Akteure weiterhin darum streiten, wer die Verantwortung dafür trägt. Amnesty International und drei weitere humanitäre Organisationen beklagen in einer gemeinsamen Erklärung, es gäbe vor Ort durchaus Unterkunftsmöglichkeiten für die meisten dieser Menschen. "Was fehlt, ist der politische Wille, dies zu ermöglichen."

Konkret werfen die Organisationen den Behörden des Landes Versagen darin vor, den dort gestrandeten Migranten und Flüchtlingen Unterkünfte und ein Minimum an Schutz zur Verfügung zu stellen - obwohl die Europäische Union in den vergangenen drei Jahren dem Land dafür mehr als 88 Millionen Euro gezahlt habe. Die EU müsse nun dringend mit den bosnischen Behörden "Langzeitlösungen" erarbeiten - und sich der eigenen Verantwortung stellen: Die gegenwärtige humanitäre Krise sei "auch eine Folge der EU-Politik", die darin bestehe, "die eigenen Grenzen abzuschotten."

Massiv verschärft hatte sich die Lage im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina, nahe der Grenze des EU-Mitgliedsstaats Kroatien, als kurz vor Weihnachten ein Flüchtlingslager namens Lipa abbrannte. Die Flammen gelegt hatten mutmaßlich Insassen, die gegen die Räumung des Camps protestierten - die Evakuierung war nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nötig geworden, um das Lager winterfest zu machen. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt keinen konkreten Vorschlag dafür, wo die Menschen stattdessen unterkommen sollten. Die Mehrzahl der etwa 1200 Bewohner von Lipa flüchtete sich in leer stehende Fabrikhallen, in Wälder oder an Straßenränder.

Ärzte berichten von Erfrierungen und Atemwegserkrankungen

IOM und EU hatten gefordert, die Menschen in einem rund 20 Kilometer entfernten, seit September leer stehenden Flüchtlingscamp unterzubringen, das seinerzeit mit EU-Mitteln aufgebaut worden war - doch dies verhinderten lokale Behörden des Kantons Una-Sana, die sich vom Rest des Landes im Umgang mit den Flüchtlingen benachteiligt fühlen.

Inzwischen haben die bosnischen Behörden mehrere Dutzend beheizte Armeezelte als Notunterkünfte aufgestellt, doch mehrere Hundert Menschen sind nach Angaben von Amnesty International nach wie vor ohne Schutz vor der Kälte. Ärzte und Helfer berichten von Erfrierungen, infizierten Wunden und schweren Atemwegserkrankungen.

Unterdessen appellierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, alle Teile des Landes müssten gleichermaßen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beitragen, ansonsten müsse Bosnien-Herzegowina "schwere Folgen für seine Reputation" fürchten. Dem erteilte Milorad Dodik, Präsident der serbischen Teilrepublik, umgehend eine Absage: In seinem Landesteil werde es keine Flüchtlingslager geben, man wolle auch kein Geld dafür haben. Dies habe er Borrell persönlich mitgeteilt, sagte Dodik am Dienstag. Die Migranten seien nicht das Problem Bosniens, sondern der EU.

In Bosnien-Herzegowina streiten die Kantone

Zuvor hatte Mustafa Ružnić, der Ministerpräsident des Kantons Una-Sana, öffentlich die Darstellung der IOM in Zweifel gezogen, wonach dass Camp in Lipa von Insassen selbst während der Räumung in Brand gesteckt worden war. "Indizien" deuteten darauf hin, dass nicht Migranten für die Brandstiftung verantwortlich sein, so Ružnić. Zudem gebe es Akteure im Land, denen das Feuer gelegen gekommen sei, da dadurch der Druck gestiegen sei, das im September auf Dringen der Kantonsverwaltung hin geschlossene Flüchtlingslager in Bira wieder zu öffnen. Er hoffe, die Staatsanwaltschaft von Una-Sana werde "den Mut aufbringen festzustellen, wer es war", so Ružnić.

Der CDU-Politiker Volker Kauder sagte in einem Gespräch mit der Zeit-Beilage "Christ und Welt", der Umgang mit Flüchtlingen in Griechenland und Bosnien sei eine "Schande für Europa". Jeder Flüchtling sei ein "Ebenbild Gottes" und müsse entsprechend "behandelt werden, wenn er bei uns ist." Zuvor hatte der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei die humanitären Hilfen der Bundesregierung für Geflüchtete in Bosnien-Herzegowina für ausreichend erklärt: "Die Hilfe muss vor Ort geschehen", so Frei am Dienstag in der ARD. Zudem müsse der europäische Grenzschutz gestärkt werden: "Es kann nicht sein, dass jeder die Grenze überschreitet, wie er es gerade möchte."

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