Süddeutsche Zeitung

Werkstatt Europa:Mehrheit der Deutschen fühlt sich nicht als Zahlmeister der EU

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Von Leila Al-Serori

Seit Jahren hält sich ein Narrativ hartnäckig: Als Nettozahler für den EU-Haushalt müsse Deutschland für die schwache Wirtschaft anderer Länder aufkommen, Deutschland sei der "Zahlmeister Europas" und werde von anderen Mitgliedsstaaten ausgenutzt.

Laut einer neuen Studie der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Denkfabrik Progressives Zentrum, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, negiere diese Sichtweise den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der EU für Deutschland. Und würde auch gar nicht dem entsprechen, wie die Deutschen selbst die EU und die Rolle der Bundesrepublik sehen.

So hält die Mehrheit den finanziellen Beitrag Deutschlands zum EU-Budget nicht für zu hoch - und 76,7 Prozent sind der Meinung, dass die Bundesrepublik ihre politischen Ziele eher mit als ohne EU erreichen kann. 66 Prozent glauben, dass Deutschland wirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile hat.

Und mehr als 90 Prozent wünschen sich sogar mehr gemeinsame Ausgaben von Deutschland und den EU-Partnern in Bereichen wie Klimaschutz, Bildung, Verteidigung und Soziales.

Für die Studie wurden eine repräsentative Umfrage und mehrere Gruppendiskussionen im Januar 2019 durchgeführt, also etwa vier Monate vor den Europawahlen. Am Mittwoch werden die Ergebnisse in Berlin vorgestellt.

"Eine überraschend klare Mehrheit findet den deutschen Finanzbeitrag zur EU nicht zu hoch", sagt Studienautor Johannes Hillje. Die Befunde der Umfrage würden zeigen, dass die Zahlmeister-These im Widerspruch zu den Einstellungen in der deutschen Bevölkerung stehe.

Und gemessen an der Wirtschaftskraft stimme sie auch gar nicht: Deutschland wechselt sich an der Spitze der Nettozahler mit den Niederlanden, Schweden und Italien ab. Trotzdem scheint der Mythos des "Zahlmeister Europas" mitverantwortlich für die gegenwärtige zurückhaltende deutsche EU-Politik zu sein, so das Fazit der Studie.

Dabei sieht die Mehrheit der Deutschen die EU-Mitgliedschaft weit über den wirtschaftlichen Nutzen hinaus. Für Hillje zeige das Ergebnis der Umfrage, einen "deutlichen Handlungsauftrag an die Bundesregierung, sich kooperativer und aktiver in der EU zu engagieren".

Die einzige Gruppe, die mehr Nach- als Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft sieht, sind die Anhänger der AfD. "Fast im gesamten Datensatz ist eine deutliche Spaltung zwischen AfD-Anhängern und allen anderen nachzuweisen. Aber die EU-Skepsis spiegelt auch klar wieder, wofür die Partei steht", erklärt Hillje. Die Wähler aller anderen Parteien sehen der Befragung zufolge die Vorteile der EU für Deutschland deutlich überwiegen.

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