Süddeutsche Zeitung

Erdoğan:Die Türkei eilt mit Riesenschritten Richtung Autokratie

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Erst schafft Erdoğan die Pressefreiheit ab, nun werden Oppositionelle festgenommen. Der türkische Präsident macht alle mundtot, die sich ihm in den Weg stellen.

Kommentar von Luisa Seeling

Die türkische Demokratie ist seit Jahren in einem schlechten Zustand - schwindende Freiheit, zunehmende Repression, ein ausgehöhlter Rechtsstaat. Jetzt aber hat sich das Tempo noch einmal erhöht. Mit Riesenschritten eilt die Türkei auf ein autokratisches Regime zu. Die Festnahme von einem Dutzend HDP-Abgeordneten in der Nacht zum Freitag reiht sich in diese Entwicklung nahtlos ein.

Dabei spielt keine Rolle, ob Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, die beiden Co-Vorsitzenden der prokurdischen Partei, oder die anderen Abgeordneten in den kommenden Stunden und Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Eine Oppositionspartei, deren Politiker jederzeit mit Festnahmen rechnen müssen, ist nicht arbeitsfähig.

De facto sind die freien Medien in der Türkei am Ende

Als Politiker in Brüssel und Berlin nach der Verhaftung von einem Dutzend Cumhuriyet-Redakteuren forderten, Erdoğan müsse die Pressefreiheit respektieren, wunderten sich viele: Welche Pressefreiheit? Da ist doch gar nichts mehr! Klar, es gibt sie noch, die hartnäckigen, unfassbar mutigen Menschen, die versuchen, so etwas wie Journalismus zu machen - die Rest-Redaktion von Cumhuriyet zum Beispiel. Sie verdienen allen Respekt. De facto aber sind die freien Medien in der Türkei am Ende. Wer mit jedem Artikel fürchten muss, in Handschellen abgeführt zu werden, kann nicht arbeiten.

Die türkische Regierung schafft die Pressefreiheit ab, sie schaltet die Opposition aus, und sie tut dies gezielt und planvoll. Sie nutzt den Putschversuch von Mitte Juli, um nicht nur - was ihr gutes Recht ist - gegen die Verschwörer vorzugehen, sondern um all jene mundtot zu machen, die sich dem Machtanspruch des türkischen Präsidenten in den Weg stellen. Der ewige Terrorvorwurf dient dabei als Allzweckwaffe, um die Grundrechte auszuhebeln. Der Ausnahmezustand, im Juli ausgerufen und vor Kurzem bis Januar verlängert, erlaubt es der Regierung und dem Präsidenten, per Dekret durchzuregieren.

Immer deutlicher zeichnet sich der Weg für die kommenden Monate ab: ein mit eiserner Faust kontrollierter Südosten, die Zerschlagung der parlamentarischen Vertretung der Kurden - und, das steht zu befürchten, eine weitere Eskalation der Gewalt zwischen PKK und Militär; außerdem ein entmachtetes Parlament und ein Staatsapparat, der vor allem dazu dient, den Willen des Präsidenten mit allen Mitteln durchzusetzen. Der Umbau ist in vollem Gange, und bisher scheint es wenig zu geben, was Erdoğan auf diesem Weg aufhalten kann. Wenn im Januar der Ausnahmezustand endet - falls er dann endet -, wird die Türkei ein anderes, ein unfreies Land sein.

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