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Ecuador:Die böse Überraschung: eine Staatskrise

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Angesichts seiner drohenden Amtsenthebung löst Präsident Guillermo Lasso das Parlament auf und ruft Neuwahlen aus. Dem südamerikanischen Land drohen nun Proteste und politisches Chaos.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Ganz unerwartet kam der Schritt nicht, dennoch war es für viele Ecuadorianer eine böse Überraschung, als Präsident Guillermo Lasso am Mittwochmorgen (Ortszeit) erklärte, er habe sich dazu entschieden, das Parlament aufzulösen. "Dies ist der beste Weg, um (...) die politische Krise und die inneren Unruhen in Ecuador zu lösen", schrieb Lasso auf Twitter.

Lasso handelt im Rahmen der ecuadorianischen Verfassung: Artikel 148 sieht vor, dass der Präsident des Landes einmalig und nur innerhalb der ersten drei Regierungsjahre das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen kann. "Muerte cruzada" wird diese Klausel allgemein nur genannt, auf Deutsch so viel wie "Gegenschlag" oder "doppelter Tod".

Es ist allerdings das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass ein Staatsoberhaupt von der Maßnahme tatsächlich Gebrauch macht. Die Absetzung des Parlaments kann darum auch als ein weiterer Schritt Ecuadors auf dem Weg in politisches und gesellschaftliches Chaos gesehen werden.

Die Armut wächst. Die Kriminalität ebenso. Das liegt auch an der Pandemie

Galt das Land über Jahre hinweg als vergleichsweise prosperierend und verhältnismäßig sicher, kämpft Ecuador heute mit immer schwereren wirtschaftlichen Problemen und zunehmender Gewalt sowie Kriminalität. Die Corona-Pandemie hat die Nation und ihre 18 Millionen Einwohner schwer getroffen. Vor allem abseits der Städte ist die Armut mittlerweile groß. Dazu ist die Mordrate in die Höhe geschnellt. Drogenkartelle liefern sich erbitterte Revierkämpfe. Immer wieder gibt es blutige Gefängnisaufstände.

Die Politik des Landes versinkt derweil in Grabenkämpfen und Skandalen. 2021 wurde Guillermo Lasso zum Präsidenten gewählt, ein ehemaliger Banker mit konservativ-katholischen Idealen und besten Beziehungen in die weiße und reiche Oberschicht Ecuadors. Lasso kämpfte von Anfang an mit erbittertem Widerstand von Seiten der Opposition im Parlament und der mächtigen Indigenen-Verbände des Landes auf den Straßen. Es gab Massenproteste und einen Generalstreik, 2022 verhängte Lasso den Ausnahmezustand. Seine Zustimmungswerte sanken, am Ende war der 67-Jährige einer der unbeliebtesten Staatschefs Lateinamerikas.

Zu Beginn dieses Jahres häuften sich dann auch noch Hinweise auf einen Korruptionsskandal. Medienberichte und Abgeordnete beschuldigten Lasso der Veruntreuung im Zusammenhang mit Öltransportverträgen. Dieser wies alle Vorwürfe von sich und verwies darauf, dass die Unterzeichnung vor seinem Amtsantritt stattgefunden habe. Dennoch stimmte in der vergangenen Woche eine Mehrheit der Abgeordneten für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens.

Das Militär ruft zu Ruhe auf. Der Indigenen-Verband zu Protest

Diesem kam Lasso nun zuvor mit der Auflösung des Parlaments. Ein halbes Jahr hat er nun Zeit, um Neuwahlen zu organisieren. Bis dahin kann das Staatsoberhaupt per Dekret regieren.

Während die oberste Militärführung bereits erklärt hat, die Auflösung des Parlaments sei verfassungsgemäß und sollte darum "von allen Bürgern" akzeptiert werden, hat der Indigenen-Dachverband "Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador" (Conaie) Proteste angekündigt. Er spricht von einem "Szenario der Diktatur von Guillermo Lasso", ruft seine Mitglieder zu Einheit auf und zu einer außerordentlichen Versammlung, um "die Lage zu analysieren" und "gemeinsame Entscheidungen" zu treffen.

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