Süddeutsche Zeitung

Dresden:Sächsische Prüffälle

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Kaum 48 Stunden im Amt, steht der neue Chef des Verfassungsschutzes schon im Mittelpunkt einer Affäre: Es geht um Daten von AfD-Abgeordneten, die sein Vorgänger hatte sammeln lassen - offenbar widerrechtlich.

Von Ulrike Nimz, Dresden

Wo eine Krise aufhört und die nächste beginnt, lässt sich derzeit schwer sagen in Sachsen. Vergangene Woche erst hatte Innenminister Roland Wöller (CDU) Stellung beziehen müssen zum Korruptionsskandal in der sächsischen Polizei, der unter dem Schlagwort "Fahrradgate" Empörung und Häme auslöste. Am Donnerstagnachmittag trat er erneut vor die Journalisten. An seiner Seite Sachsens neuer Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian, kaum 48 Stunden im Amt und schon im Zentrum einer Affäre, die Wöller abermals Rücktrittsforderungen beschert. Die Sächsische Zeitung hatte berichtet, dass Christian Anweisung erteilt habe, im Rahmen eines Prüffalls erhobene Daten zu demokratiefeindlichen Bestrebungen von AfD-Abgeordneten zu löschen. Der bisherige Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Gordian Meyer-Plath, soll das Schwärzen und Löschen des Materials rigoros abgelehnt haben. Der Disput soll ein Grund für die Versetzung Meyer-Plaths ins Wissenschaftsministerium gewesen sein.

Der Verfassungsschutz habe sich schon länger vom Ministerium ausgebremst gefühlt, vor allem im Kampf gegen Rechtsextremismus. "Wenn Christian kommt, wirft uns das um Jahre zurück", werden Sicherheitskreise zitiert. Christian war zuvor als Referatsleiter im Innenministerium für die Aufsicht über das LfV zuständig.

Christians Vorgänger soll das Schwärzen und Vernichten des Materials rigoros abgelehnt haben

Aus Sicht des Innenministers stellt sich der Fall anders dar: Der Verfassungsschutz habe widerrechtlich Daten von AfD-Landtagsabgeordneten gesammelt und trotz mehrmaliger Aufforderung der Fachaufsicht keine Belege und Beweise beibringen können, die dies gerechtfertigt hätten. "Die Indiskretionen sind haltlos", sagte Wöller. Es sei Anzeige wegen Verrat von Dienstgeheimnissen erstattet worden.

Christian betonte, dass er den besonderen Schutz von Mandatsträgern verletzt sehe, und bezog sich auf das sogenannte Ramelow-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013. Der Linken-Politiker stand jahrelang auf der Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes. Abgeordnete müssten ihre Aufgabe frei von staatlicher Kontrolle ausüben können, sagte Christian. Der Demokratie sei nicht gedient, wenn Menschen auf Verdacht und ohne Rechtsgrundlage beobachtet würden. "Man kann nicht die Verfassung schützen und selbst Verfassungsbruch begehen." Wie in einem Prüffall üblich, seien nur öffentlich zugängliche Daten, beispielsweise Zeitungsartikel, gespeichert worden. Noch seien diese nicht gelöscht. Zuvor hatten Wöller und Christian im Innenausschuss des sächsischen Landtages Rede und Antwort stehen müssen. Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, nannte die Datensammlung einen "ungeheuerlichen Vorgang". Die Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz sei ein hochsensibler Bereich. "Der Fall zeigt einmal mehr, dass einiges im Landesamt für Verfassungsschutz im Argen liegt." Oppositionspolitikerin Kerstin Köditz von der Linken sieht Wöller nicht entlastet: "Er ist für das Landesamt für Verfassungsschutz verantwortlich und sieht seit Jahren dabei zu, wie es beim Kampf gegen rechts herumstümpert." Am kommenden Montag wird der Fall die Parlamentarische Kontrollkommission beschäftigen.

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SZ vom 03.07.2020
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