Süddeutsche Zeitung

Diplomatie und Spionage im Kalten Krieg:Verräterische Puppen

Lesezeit: 4 min

Das FBI spionierte meisterlich, doch in einigen Auslandsbüros machten die amerikanischen Agenten plumpe Anfängerfehler. Vor allem die Vertretungen des FBI in Rom und Paris fielen negativ auf, wie nun Akten aus dem Archiv von J. Edgar Hoover belegen.

Von Stefania Maurizi

"In Rom sollten die Mitarbeiter nach Ansicht der Analysten darüber informiert werden, dass die Telefonleitungen vom Gastland abgehört werden könnten. Aus diesem Grund sollten Unterhaltungen zu sensiblen Themen oder persönliche Kommentare, in denen die Regierung kritisiert wird, vermieden werden."

Das amerikanische FBI druckt diese Worte schwarz auf weiß in einem bislang geheimen Dokument aus dem Jahr 1986. Es wurde im "Special File Room" aufbewahrt, jenem explosiven und streng vertraulichen Archiv, über dessen gesamten Inhalt die Welt wohl nie vollends Bescheid wissen wird.

In Zimmer 6527 wurden von 1948 an die geheimsten und heikelsten Akten von FBI-Direktor John Edgar Hoover persönlich abgelegt. Zusammen mit anderen europäischen Medien hat L'Espresso nun Einsicht in etwa 5000 Akten erhalten.

Das Durchblättern der Dossiers gleicht einer Reise in die Vergangenheit, der Leser taucht ein in einen Schwarz-Weiß-Film, wo sich die Legende des FBI zwischen Schlaglichtern und dunkler Farbe entfaltet. Die Akten erlauben es, den Faden einer Geschichte zu spinnen, der uns bis hinein in eine Gesellschaft der totalen Kontrolle geführt hat, symbolisiert vor allem durch die National Security Agency (NSA) und enttarnt durch den Whistleblower Edward Snowden.

Alte Telefone, Puppen und Aufpasser

Der Skandal um die NSA, ausgelöst durch Snowdens Dokumente, hat enthüllt, wie die Vereinigten Staaten selbst die diplomatischen Vertretungen befreundeter Staaten ins Visier nahmen, darunter auch die italienische Botschaft in Washington. Lange bevor es der NSA gelang, die Computer und Telefonleitungen der Welt zu infiltrieren, beschäftigte sich das FBI ironischerweise mit dem Verdacht, dass die Italiener ihre Kommunikation aus der Botschaft in Rom abfangen könnten.

Im Jahr 1986 stand die Berliner Mauer noch, die Welt war in zwei Blöcke aufgeteilt und Italien ein treuer Anhänger der Vereinigten Staaten unter dem Schirm der Nato. Das FBI unterhielt bereits zu dieser Zeit ein Netz an Büros überall auf der Welt, um mit Polizeikräften und Geheimdiensten in Staaten auf allen fünf Kontinenten zusammenzuarbeiten.

Und es war zu dieser Zeit, da das FBI entschied, dass eine technische Inspektion seiner Büros in Bern, London, Bonn, Paris und Rom notwendig sei. Die Auslandsbüros des FBI befanden sich zu dieser Zeit üblicherweise in den Botschaften und diplomatischen Vertretungen der USA.

In Paris ergab die Überprüfung der Botschaft ein kritisches Sicherheitsleck: Das französische Reinigungspersonal konnte die Büros ohne jede Kontrolle betreten und wurde bei der Arbeit von keiner Eskorte kontrolliert. Und da an den Fenstern überdies noch Vorhänge fehlten, sei "ein Großteil des Büroraums von benachbarten Gebäuden oder anderen Büros vollständig einsehbar", notierten die Agenten. Darüber hinaus nutzte das Pariser Büro zu jener Zeit ein Teletype-Verschlüsselungssystem, dessen Drucker derart laut war, "dass es während des Druckens selbst von anderen Gebäuden aus möglich ist, die akustischen Signale einzufangen".

Geheime Dämpfe und spezielle Kunststoffe

Und in Rom wurde im Zuge der Inspektion bekannt, dass ein italienischer Assistent der Botschaft sich in Telefonaten mit der FBI-Zentrale in den USA freimütig und kritisch über laufende Operationen unterhielt. Alle Mitarbeiter wurden daraufhin angewiesen, heißt es in dem internen FBI-Memorandum, dass "solche Bemerkungen unterlassen werden sollten, da Telefongespräche überwacht werden könnten".

Der Assistent sprach nicht nur offen am Telefon, er zog sich auch anderweitig Kritik zu - platzierte er doch eine Gruppe von Matroschka-Holzpuppen in seinem Büro, die ihm ein russischer "Freund" geschenkt habe. Die Kontrolle der Holzpuppen durch die Sicherheitsexperten aus Washington ergab zwar nichts Verdächtiges, es waren keine elektronischen Komponenten darin zu finden. Allerdings wiesen sie den Mitarbeiter darauf hin, dass bei Geschenken seines Freundes doch "Vorsicht angebracht" sei - besonders dann, wenn er die Geschenke in seinem Büro platziere.

Die geheimen Unterlagen aus dem "Confidential File Room" fördern auch Interessantes aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zutage. Den Krieg gegen Hitler und Mussolini gewannen die Alliierten dank ihrer Bomben, ihrem Radar und schließlich auch dank der Fähigkeiten ihrer Kryptografen, die den Code der deutschen Chiffriermaschine "Enigma" knacken konnten.

In einer FBI-Akte, die 77 Seiten umfasst, wird deutlich, wie die USA auch die Nachrichten der italienischen Diplomaten von Oktober 1941 an abfingen - zu einer Zeit also, als Amerika noch gar nicht in den Krieg eingetreten war. In einer geheimen Akte aus dem Dezember 1941 schickt das amerikanische Außenministerium Kopien von verschlüsselten Telegrammen, die zwischen verschiedenen Kommissionen in Nordafrika und Italien ausgetauscht worden sind, an mehrere Behörden - darunter ans FBI - mit der Bitte um Entschlüsselung. Ergebnisse sollten unverzüglich nach Washington gemeldet werden.

Die Alliierten spionierten einander aus

Doch die Dokumente zeigen auch: Im Krieg spionierten die Alliierten sich auch gegenseitig aus. In einem Stapel von Memos aus den Jahren 1940 bis 1943 zeigt sich das FBI überrascht, als seine Agenten mit einem Mal entdecken, dass die Briten wohl systematisch ihre Briefe zwischen London und Lissabon geöffnet hatten. In den Akten heißt es, das Problem sei "sogar noch größer als angenommen". Es bestehe die Möglichkeit, "dass die gesamte diplomatische Kommunikation einer ähnlichen Behandlung unterzogen worden ist".

Es oblag dem technischen Labor des FBI, wissenschaftliche Belege dafür zu finden, dass die Briefe tatsächlich geöffnet wurden. In den Unterlagen des FBI werden diverse Techniken diskutiert, mit denen Umschläge heimlich geöffnet werden können. Schwierig sei der Nachweis einer Manipulation beim sogenannten "chamfering", heißt es.

Dabei werde der Brief mit heißem Dampf geöffnet und später wieder geschlossen, allerdings könnten geübte Augen die Spuren einer solchen Prozedur erkennen. Doch es gebe ohnehin noch eine bessere Möglichkeit: Lässt man den verschlossenen Brief eine Nacht lang in einem Gefäß, das mit ein wenig Wasser gefüllt ist, öffnet sich der Umschlag ohne jede verräterische Spur von selbst.

Allerdings, notiert das FBI, hätten die Japaner bereits Abhilfe gegen diese Technik geschaffen: Als Kleber für den Umschlag verwendeten sie Eigelb, das besonders sensibel auf Feuchtigkeit reagiert. Werde der Brief dann durch Wasserdampf geöffnet, hinterließe der Kleber Spuren.

Das ging den Washingtoner Agenten nicht weit genug. Im Juli 1943 erhielt das FBI deshalb eine Lieferung von Umschlägen, die dank eines Spezialklebers nicht mehr ohne weiteres eingesehen werden können. "Einmal richtig geschlossen", notierte ein FBI-Mitarbeiter, "ist es weder möglich, sie mit Dampf noch mit Lösungsmitteln zu öffnen."

Dieser Text erschien ursprünglich in L'Espresso. Aus dem Italienischen von Kim Björn Becker

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