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Corona-Krise:Digitale Parteitage: Überfällig, aber kein Ersatz

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Die virtuellen Treffen sind ein gutes Instrument zur innerparteilichen Meinungsbildung. Doch gegenüber "normalen" Parteitagen haben sie gleich mehrere Nachteile.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Manchmal ruckelte die Übertragung, und von einem Redner konnte man nur die Stirn sehen. Doch insgesamt hat alles ganz gut geklappt. Am Samstag sind die Grünen zu einem digitalen Parteitag zusammengekommen - wobei "zusammenkommen" eigentlich das falsche Wort ist. Denn die Delegierten saßen ja zu Hause vor ihren Notebooks und Tablets. Gewünscht hat sich das keiner. Doch die Grünen sind, wie alle Parteien, in einer misslichen Lage.

Die CDU wollte Ende April ihren neuen Vorsitzenden wählen, wegen der Corona-Krise war das nicht möglich. Auch AfD, Linke und FDP haben bereits geplante Parteitage absagen müssen. Bisher kann niemand absehen, wann derartige Großveranstaltungen wieder möglich sein werden. Aber kann die parteiinterne Demokratie wirklich so lange stillstehen?

Online-Parteitage scheinen da ein Ausweg zu sein. Ein Virus kann sie nicht verhindern, außerdem sind sie vergleichsweise schnell und günstig zu organisieren. Normale Parteitage kosten schon mal eine Million Euro. Virtuelle Parteitage könnten also ein hervorragendes Instrument zur innerparteilichen Meinungsbildung sein.

Doch so einfach ist es nicht. Das zeigt schon ein Blick auf die CSU. Die Partei stellt sich gerne als digitaler Vorreiter dar - ihr Generalsekretär fordert ständig, Digital müsse das neue Normal werden. Und tatsächlich haben die Christsozialen bereits im vergangenen Jahr, da war von Corona noch keine Rede, ihre Satzung geändert, um auch virtuelle Parteitage zu ermöglichen. Am 22. Mai soll der erste stattfinden. Doch in der neugefassten CSU-Satzung heißt es auch, solche Online-Treffen hätten nur "beratende Funktion".

Denn auch die CSU hat es mit widrigen Umständen zu tun. Zum einen macht das Parteiengesetz enge Vorgaben, es lässt auf virtuellen Parteitagen zum Beispiel keine Wahlen zu. Außerdem gibt es immer noch kein ausreichend sicheres System für geheime Online-Abstimmungen. Es ist deshalb gut, dass die Generalsekretäre das Parteiengesetz jetzt entstauben wollen. Und es ist hilfreich, dass die Grünen die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung vorgeschlagen haben, die geeignete Werkzeuge für geheime Online-Wahlen entwickeln soll. All das ist nötig, damit virtuelle Parteitage endlich die Möglichkeiten bekommen, die sie längst haben sollten.

Überschätzen sollte man sie aber nicht. Denn den virtuellen Treffen fehlt viel von dem, was die analogen ausmacht. "Normale" Parteitage sind ja immer auch eine Art Familientreffen. Die Begegnungen untereinander sind für viele Delegierte mindestens so wichtig wie ein Großteil der Beschlüsse. Chaträume können diese Begegnungen nicht ersetzen. Vor allem aber sind Parteitage in ihren besten Stunden Orte leidenschaftlicher Auseinandersetzung - auch mit der eigenen Führung. Die Stimmung in der Halle ist ein Seismograf für die Lage in der ganzen Partei. Virtueller Applaus ist da kein gleichwertiger Ersatz. Das hat auch der vergleichsweise emotionsfreie Grünen-Parteitag gezeigt.

Ja, bei den meisten Parteitagsrednern hat man nicht das Gefühl, dass sie in direkter Linie von Cicero abstammen. Aber selbst die beste Rede entfaltet fast keine Wirkung, wenn sie zu Hause vor der Webcam statt unmittelbar vor Delegierten gehalten wird. Oskar Lafontaine hätte Rudolf Scharping 1995 jedenfalls nicht so leicht aus dem SPD-Vorsitz drängen können, wenn der Parteitag statt in Mannheim im Netz stattgefunden hätte.

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SZ vom 04.05.2020
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