Süddeutsche Zeitung

Dieselskandal:VW prüfte Reden von Regierungschef

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Mitten in der Abgasaffäre: Niedersachsens Ministerpräsident Weil legte dem Autokonzern Manuskripte vor. Seine Aussagen sollten auf rechtliche Konsequenzen abgeklopft werden.

Von Thomas Hahn, Max Hägler und Klaus Ott, Hamburg/München

Niedersachsens Landesregierung hat nach Beginn der VW-Abgasaffäre im September 2015 dem Autokonzern zahlreiche Erklärungen, Interviews und Reden von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vorab zur Überprüfung vorgelegt. Nach Angaben von VW wie auch von Weils Sprecherin ging es darum, ob die geplanten öffentlichen Aussagen zu dieser Affäre faktisch richtig seien und ob daraus juristische Probleme für das Unternehmen entstehen könnten. Weil gehört dem VW-Aufsichtsrat an.

Der Vorgang trifft Weil in einem schwierigen Moment. Am Freitag hatte seine rot-grüne Regierung ihre Ein-Stimmen-Mehrheit verloren, weil die Abgeordnete Elke Twesten von den Grünen zur CDU übergelaufen war. Das Land steuert auf vorgezogene Neuwahlen zu. Mögliche Termine sind der 22. Oktober oder der Tag der Bundestagswahl, der 24. September.

Als Reaktion auf einen Bericht der Bild am Sonntag teilte VW mit, der Vorstand habe im Herbst 2015 eine "Clearingstelle" eingerichtet, die alle öffentlichen Äußerungen des Konzerns zur Abgasaffäre prüfen sollte. Dem Clearingprozess schloss sich nach Darstellung von VW der Aufsichtsrat mit Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies an. Niedersachsen hält mehr als 20 Prozent der Anteile an VW und ist im Aufsichtsrat vertreten.

Der Clearingprozess läuft über die Konzernpressestelle. Diese ist Vorstandschef Matthias Müller unterstellt und arbeitet mit dem VW-Cheflobbyisten Thomas Steg zusammen. Steg war ehedem Regierungssprecher bei Kanzler Gerhard Schröder und ist wie Weils Sprecherin Anke Pörksen SPD-Mitglied. Sie hatte im Oktober 2015 eine Regierungserklärung von Weil an Steg geschickt. "Bitte schau schon mal rein, ob da irgendetwas drin steht, was so gar nicht euren faktischen oder rechtlichen Erkenntnissen entspricht."

Laut Pörksen und VW ging es bei den Prüfungen darum, Aussagen zu vermeiden, die falsch gewesen wären oder die zu zusätzlichen Risiken für den Autokonzern geführt hätten. VW ist Niedersachsens größter Arbeitgeber. Wegen manipulierter Abgasmessungen bei Dieselfahrzeugen ermittelte die US-Justiz gegen VW, was zu Strafen und Schadenersatzzahlungen von mehr als 20 Milliarden Dollar führte.

Seit Ende des Verfahrens wird die Clearingstelle laut VW nur noch in besonderen Fällen eingeschaltet. Der Clearingprozess wirft die Frage auf, warum der Aufsichtsrat sich einer vom Vorstand eingerichteten Stelle anschloss, statt für sich selbst ein Verfahren zu organisieren. Der Aufsichtsrat soll den Vorstand kontrollieren. Pörksen sagte dazu: "Wir haben immer selber entschieden, welche Änderungsvorschläge von VW wir übernehmen und welche nicht."

Pörksen zufolge hat die Regierung den Wirtschaftsausschuss im Landtag im August 2016 über die Praxis informiert. Die Regierung habe in der Abgasaffäre von "schweren Fehlern" bei VW gesprochen. Die Staatskanzlei veröffentlichte am Sonntag einen Vergleich des Redeentwurfs mit der von Weil im Oktober 2015 im Landtag gehaltenen Rede. Zu erkennen sind einige Änderungen, die teils vom Anwalt der Regierung vorgenommen wurden, teils auf VW-Anregung.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2017
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