Süddeutsche Zeitung

Carl Schurz:Wie ein Deutscher zum US-Staatsmann wurde

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Der 1848er-Revolutionär Carl Schurz flüchtet in die USA - und bringt es bis zum General und Minister. Seine Memoiren schildern eine furiose Karriere.

Von Harald Eggebrecht

Größe 5 Fuß 9 Zoll, Haare blond, Stirn frei, Augenbrauen blond, Augen grau, Nase klein, Mund gewöhnlich, Bart Schnurrbart noch schwarz, Kinn länglich, Gesichtsbildung länglich, Gesichtsfarbe gesund". Besondere Kennzeichen: "pflegt Brille zu tragen". So lautet der Steckbrief von 1851 im Koblenzer Landeshauptarchiv, der dem Jungrevolutionär Carl Schurz galt, der 1829 im rheinischen Liblar geboren wurde.

Dieser Mann nahm an der zuletzt scheiternden Revolution von 1848/49 aktiv teil, entkam der Festnahme und möglichen Erschießung nach der Eroberung der Rebellenbastion in Rastatt auf einer Flucht in letzter Minute durch den Abwasserkanal, emigrierte über die Schweiz, England und Paris schließlich in die USA, wo er es vom Journalisten und Anwalt in der Lincoln- Administration bis zum Generalmajor während des Bürgerkrieges brachte, später auch noch US-Innenminister wurde und der erste gebürtige Deutsche war, der in den amerikanischen Senat einzog.

Schurz, immerhin einer der Gründungsväter der Republikanischen Partei, von der er sich später distanzierte und sich auch unter anderem mit Mark Twain gegen die imperialistische Expansionspolitik der USA unter Theodore Roosevelt wandte, starb 1906 in New York, diesseits und jenseits des Atlantiks damals hoch geachtet als bedeutendster Deutschamerikaner des 19. Jahrhunderts. Mark Twain schrieb in Harper's Weekly einen bewegenden Nachruf auf seinen Freund und, wie er sagt, "Lehrmeister in Staatsbürgerkunde."

Erstaunlicherweise ist dieser, um es altmodisch zu sagen, hochgemute, so tapfere wie den Menschen zugetane Politiker heute in Deutschland so gut wie vergessen, auch wenn nach ihm Straßen, Schulen und eine Kaserne benannt sind. Dagegen zählt er in den Vereinigten Staaten weiterhin zu den wichtigsten Staatsmännern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Knapp erzählt, ohne Effekthascherei, skeptisch auch gegen sich selbst

Er war es, der als Innenminister eine neue Indianer-Politik einleitete, in dem er die Zuständigkeit, die bis dahin dem Kriegsministerium oblag, in zivile Verwaltung überführte. Auch setzte er sich, darin ganz deutscher Romantiker, für den Erhalt von Wäldern und Bäumen ein.

Dass Schurz auch ein begabter Journalist und Schriftsteller war, belegen seine höchst lesenswerten "Lebenserinnerungen", die Daniel Göske neu herausgegeben und mit zahlreichen zusätzlichen Notaten von Schurz in Korrespondenzen und Artikeln angereichert hat, sodass die beiden Bände zusammen die bisher umfangreichste deutsche Schurz-Edition darstellen.

Dazu zählt auch der ausführliche Anmerkungsapparat, der den Haupttext wie ein Generalbass begleitet und die vielen erwähnten Personen, Orte und Begegnungen mit vielfältigen Informationen anreichert und so Beziehungsgeflechte und politische Netzwerke in ihrem historischen Kontext verdeutlicht.

Schurz begann mit der Niederschrift seiner Erinnerungen in den Achtzigerjahren erst skizzenhaft und dann um 1900 konsequent, konnte sie aber nicht vollenden. Der zweite Teil schließt mit seinem ersten großen politischen Erfolg, der Wahl zum Senator von Missouri 1869. Mit seinen späteren Jahren befassten sich dann die Historiker Frederick Bancroft und William Dunning für den dritten Band, der aber hier keine Berücksichtigung fand.

Schurz schreibt knapp, unaufgeblasen, mit Gespür für schriftstellerische Strategie und immer selbstskeptisch: "Ich habe mich daher ernstlich bemüht, meinen eigenen Erinnerungen nicht zu viel zu trauen, sondern sie, wenn immer möglich, mit den Erinnerungen von Verwandten und Freunden zu vergleichen, sowie alte Briefe und zeitgenössische Publikationen über die darzustellenden Tatsachen zu Rate zu ziehen."

Es gibt in diesem fesselnden Lesebuch über deutsche und amerikanische Verhältnisse in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch richtige Kabinettstücke - wie seine Flucht aus der Festung Rastatt oder wie ihm die kühne Befreiung des revolutionären Vordenkers und seines Mentors, Gottfried Kinkel, aus dem Zuchthaus in Spandau und die anschließende Flucht nach England gelang. Schurz erzählt das dicht, doch ohne falsche Effekthascherei. Es genügt die Geschichte selbst.

Zum Interessantesten gehören natürlich die Begegnungen mit welthistorischen Gestalten wie Abraham Lincoln oder Otto von Bismarck oder mit den revolutionären Köpfen von 1848 wie etwa Karl Marx: "Der untersetzte, kräftig gebaute Mann mit der breiten Stirn, dem pechschwarzen Haupthaar und Vollbart und den dunkel blitzenden Augen" weckt die Wissbegier von Schurz.

Doch er wird "eigentümlich" enttäuscht: "Was Marx sagte, war in der Tat gehaltreich, logisch und klar. Aber niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender, unerträglicher Arroganz des Auftretens."

Begegnungen mit Wagner und mit seiner Musik

Auf Widerspruch oder abweichende Meinungen reagiert Marx nur mit Verachtung und verletzendem Spott: "Ich erinnere mich noch wohl des schneidend höhnischen, ich möchte sagen des ausspuckenden Tones, mit welchem er das Wort ,Bourgeois' aussprach", mit dem Marx Abweichler von seiner Meinung "denunzierte".

Auch Richard Wagner, den er als 48er-Emigranten in Zürich trifft "war unter seinen damaligen Schicksalsgenossen keineswegs beliebt. Er galt als ein äußerst anmaßender, herrischer Geselle, mit dem niemand umgehen könne, und der seine Gattin, eine recht stattliche, gutmütige, aber geistig nicht hervorragend begabte Frau, sehr schnöde behandelte."

Doch obwohl er die Persönlichkeit des Komponisten als "abstoßend" empfindet, preist er das Werk hingebungsvoll. Tatsächlich steckt in Carl Schurz auch ein origineller Musikkritiker, der die Kunst der berühmten Sängerin Jenny Lind genau zu beschreiben weiß und seine tiefe Erschütterung bekennt, als er in Bayreuth die Uraufführung des "Parsifal" miterlebt.

Ein Letztes: Uwe Timm hat den Lebenserinnerungen von Carl Schurz einen ungemein feinfühlig den Schriftsteller, Rebellen und menschenfreundlich-pragmatischen Politiker analysierenden Essay vorangestellt, der Frage nachgehend, ob dieser "überzeugte Demokrat" in Deutschland deshalb "als Vorbild nicht recht genehm" ist, weil "zu viel Empörung, Eigensinn und ziviler Ungehorsam sein Leben" prägten. Gerade deshalb ist eine neuerliche Beschäftigung mit Carl Schurz dringend geboten.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2016
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