Süddeutsche Zeitung

Den Haag:Sieg über die Weltjustiz

Lesezeit: 2 min

Der Internationale Strafgerichtshof hat sichtlich entnervt die Ermittlungen gegen zwei der mächtigsten Angeklagten eingestellt: Sudans Staatschef Omar al-Baschid und Kenias Präsident Uhuru Kenyatta. Das Aufgeben offenbart ein Dilemma.

Von Ronen Steinke, München

Unter all den Kriegsfürsten, den Warlords, Agitatoren und politischen Führern, gegen die der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt, waren diese beiden mit Abstand die mächtigsten: Kenias Präsident Uhuru Kenyatta und Sudans Staatschef Omar al-Baschir. Die beiden wurden beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit befehligt zu haben; gegen Baschir gab es seit 2009 sogar einen internationalen Haftbefehl. Nun sind beide davongekommen.

Nachdem das Verfahren gegen Kenias Präsidenten bereits am 5. Dezember aus Mangel an Beweisen eingestellt worden war, erklärte die Haager Chefanklägerin Fatou Bensouda vor dem UN-Sicherheitsrat in New York am Freitagabend (Ortszeit), dass sie auch ihre Ermittlungen gegen Baschir mangels Erfolgsaussichten beende. Zur Begründung sagte Bensouda, dass sie bei diesen Ermittlungen kaum Unterstützung von der Staatengemeinschaft erhalte. "Es wird immer schwieriger für mich, vor Ihnen aufzutreten und so zu tun, als informierte ich Sie über unsere Fortschritte, wenn ich in Wirklichkeit immer nur dasselbe wiederhole", sagte die Chefanklägerin zu den Mitgliedern des UN-Gremiums. Es sei ein Jahrzehnt vergangen, seitdem ihre Mitarbeiter wegen der Verbrechen in der sudanesischen Provinz Darfur ermittelten. Man habe sechs Hauptverantwortliche identifiziert, unter ihnen Baschir. Jedoch sei kein einziger von ihnen nach Den Haag gebracht worden. Auch die UN hätten wenig getan, um zu helfen.

Chefanklägerin Bensouda sieht "keine andere Wahl"

Es war der UN-Sicherheitsrat, der 2005 den damals frisch gegründeten Internationalen Strafgerichtshof damit beauftragte, in Darfur zu ermitteln. Dort steht heute die größte Peacekeeping-Truppe der Welt, mit 20 000 Blauhelm-Soldaten. Jedoch hatte es nie den erforderlichen Konsens bei den UN gegeben, um diese Soldaten damit zu beauftragen, Haftbefehle zu vollstrecken. Auch war trotz regelmäßiger Appelle aus Den Haag kaum Druck ausgeübt worden auf afrikanische Staaten, die Sudans Präsidenten Baschir weiter als Staatsgast empfingen und den Haftbefehl ignorierten, zu dessen Vollstreckung sie als Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs eigentlich verpflichtet waren. 2011 empfing das Sicherheitsrats-Mitglied China Baschir zum Staatsbesuch.

"Angesichts dieses Desinteresses des Sicherheitsrats bleibt mir keine andere Wahl als meine Ermittlungsaktivitäten in Darfur bis auf Weiteres auszusetzen, während ich meine begrenzten Mittel für andere dringende Ermittlungen abziehe", sagte die Chefanklägerin Bensouda.

Die Lage in Darfur hat sich nach UN-Angaben in den vergangenen zwei Jahren wieder verschärft. In diesem Jahr registrierten die Vereinten Nationen 400 000 neue Vertriebene in der Region. Erst im vergangenen Monat gab es Berichte, wonach im Dorf Tabit 200 Menschen von Soldaten der sudanesischen Armee vergewaltigt wurden. Der mutmaßliche Drahtzieher, Präsident Baschir, war eine Woche später ungehindert nach Äthiopien gereist.

Ihr grundsätzliches Problem hat die Haager Chefanklägerin vor wenigen Wochen so beschrieben: Da der Internationale Strafgerichtshof nicht über eine eigene Polizei verfüge, sei es stets so, als fahnde man nach Al Capone - aber bloß mit der höflichen Bitte an Capone, ob er sich nicht selbst stellen wolle, sowie mit der Bitte an andere mächtige Gruppen, ob sie ihn nicht einfangen und abgeben könnten. Dies sei eben schwierig, sagte Bensouda im Interview mit der SZ. Der UN-Sicherheitsrat neige leider dazu, den Gerichtshof "wie einen politischen Fußball" zu behandeln, kommentierte nun der australische Völkerstrafrechtler Kevin Jon Heller: "Er überweist einen Fall an den Gerichtshof, wenn er Interesse daran hat, besorgt auszusehen, lässt ihn aber genauso schnell wieder fallen."

Sudans Präsident Baschir feierte am Samstag seinen Sieg über die Weltjustiz, ganz ähnlich wie in der vergangenen Woche schon sein kenianischer Kollege Kenyatta: Das sudanesische Volk sei standhaft geblieben gegen "koloniale Gerichte", erklärte er.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2266655
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.12.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.