Süddeutsche Zeitung

Parlamentswahlen:Warum Dänemarks Sozialdemokraten besser dastehen als ihre Schwesterparteien

Lesezeit: 3 min

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Möglich, dass die deutsche Sozialdemokratie derzeit neidisch über die Grenze blickt, hinauf zu den Nachbarn im Norden. In Dänemark wird am Mittwoch gewählt. Und nun sieht alles danach aus, als gehe hier eine in den vergangenen Jahren arg gebeutelte sozialdemokratische Partei daran, unter Führung ihrer 41-jährigen Vorsitzenden Mette Frederiksen, die Liberalen und die Konservativen wieder in die Opposition zu boxen. Wenn die Umfragen recht behalten, können die Sozialdemokraten die nächste Regierung stellen. Parteichefin Mette Frederiksen wäre die nächste Ministerpräsidentin Dänemarks.

Möglich auch, dass die deutschen Sozialdemokraten beim Blick über die Grenze erstaunt feststellen, dass ihre dänischen Genossen auf ihrem Weg zurück an die Macht einen radikal anderen Weg eingeschlagen haben, einen Weg, den die Linke anderswo in Europa so bislang für sich ablehnt. Die Politik der dänischen Sozialdemokratie, schreibt der Kopenhagener Politikwissenschaftler Peter Nedergaard, sei der Ausdruck einer "sich abzeichnenden Revolte gegen den dominanten liberalen, immigrationsfreundlichen Diskurs". Mette Frederiksen ist eine sozialdemokratische Führerin, die in der Ausländerpolitik offen flirtet mit Positionen, die man bislang allein im rechtspopulistischen Lager vermutete.

Migration ist nicht das einzige Thema im dänischen Wahlkampf. Dass die Sozialdemokraten mit 25 Prozent der Stimmen die Umfragen anführen, liegt auch daran, dass die bürgerliche Koalition von Premierminister Lars Løkke Rasmussen sich verschlissen hat. Und die dänischen Wähler sind den schleichenden Abbau ihres Sozialstaates leid. Die Ausgaben für die Alten wurden gekürzt, ein Fünftel der Schulen im letzten Jahrzehnt geschlossen, ein Viertel der Krankenhäuser. Wenn die Dänen bislang ohne zu murren mit die höchsten Steuern der Welt gezahlt haben, dann auch deshalb, weil sie sich dafür einen der großzügigsten Wohlfahrtstaaten geschaffen hatten. Nun wird das Murren etwa über die zunehmend schlechte Gesundheitsversorgung lauter. Frederiksen hat versprochen, viele Milliarden für Bildung, Gesundheit und die Rentner auszugeben.

Aber das allein hätte wahrscheinlich nicht gereicht. In Dänemark ist exemplarisch zu beobachten, wie die Politik und die Gesellschaft eines Landes als Ganzes nach rechts rücken, wenn es den rechten Parteien gelingt, die Themen zu bestimmen. Die Dansk Folkeparti (DF), die Dänische Volkspartei, tat das die letzten Jahre meisterhaft. Sie saß nicht in der Regierung, unterstützte sie nur, trieb dabei aber die anderen Parteien vor sich her.

Das beste Beispiel sind die Liberalen von Ministerpräsident Rasmussen und ihre Ministerin für Ausländer und Integration, Inger Støjberg, die sich mit der DF einen Wettlauf um die schärfste Ausländerpolitik lieferten. Die Regierung verabschiedete ein Gesetz, wonach die Behörden ankommenden Flüchtlingen ihren Schmuck abnehmen dürfen, ein Burkaverbot, zudem ein Gesetz, das alle Familien, die in offiziell als "Ghettos" eingestuften Nachbarschaften leben, dazu verpflichtet, ihre Kinder in Nachhilfestunden zu schicken, um "dänische Werte" zu pauken. Støjberg trat vor zwei Jahren mit einer Torte vor die Presse, auf der 50 Kerzen brannten - um die fünfzigste Verschärfung des Ausländerrechts zu feiern. Auf der Homepage ihres Ministeriums zählt ein Ticker: mittlerweile ist sie bei Verschärfung Nummer 114 angelangt.

Protest gegen diese Maßnahmen kam von den kleineren linken Parteien, mit denen die Sozialdemokraten nach den Wahlen ein Bündnis eingehen wollen - aber nicht von den Sozialdemokraten selbst. Im Gegenteil: Frederiksens Partei stimmte für all diese Maßnahmen. Für Aufsehen sorgte Ende vergangenen Jahres der Plan der Regierung, verurteilte Asylbewerber auf eine unbewohnte Insel einzuquartieren: Lindholm war bislang Heimat eines Universitätslaboratoriums, wo Forscher Tierseuchen untersuchten, zu erreichen allein über eine Fähre mit dem Namen Virus. Nun muss die Universität die Insel dekontaminieren, von 2021 an sollen dann dort die Flüchtlinge untergebracht werden. "Sie sind in Dänemark unerwünscht", schrieb Ministerin Støjberg dazu auf Facebook. "Und sie werden das spüren." Die Sozialdemokraten waren die einzige Oppositionspartei, die im Parlament nicht gegen den Plan stimmte: Sie enthielten sich der Stimme. Und sie kündigten an, im Falle der Machtübernahme bei der Ausländerpolitik weiter mit der Dänischen Volkspartei zusammenarbeiten zu wollen.

Unter Frederiksens Führung hat die Partei eine Kehrtwende vollzogen

"Niemand ist ein schlechter Mensch, nur weil er sich Sorgen macht wegen der Immigration", sagt Frederiksen. Unter ihrer Führung hat die Partei eine Kehrtwende vollzogen. "Die Herausforderung, der wir uns gegenübersehen, ist keine vorübergehende", schreibt sie in einem programmatischen Plädoyer: "Unser Wohlfahrtsmodell gerät unter Druck, ebenso wie unser hohes Niveau an Gleichheit und unsere Lebensweise."

Und ihrem Biografen sagte sie, es sei "zunehmend klar, dass der Preis für unregulierte Globalisierung, Masseneinwanderung und die Freizügigkeit von Arbeitskraft von den unteren Schichten bezahlt wird." Mit anderen Worten: Sie hat erkannt, dass die Zielgruppe der Rechtspopulisten sich mit der Zielgruppe der Sozialdemokraten überschneidet. Nun argumentiert sie, nur ein solcher Rechtsschwenk könne den Wohlfahrtsstaat retten.

Auf eine Weise ist das Kalkül aufgegangen. Dänemarks Sozialdemokraten haben den Absturz ihrer Schwesterparteien anderswo vermieden. Dafür hat sich der Stimmenanteil der rechten DF in Umfragen halbiert. "Die anderen Parteien haben unsere Themen gekidnappt, sie nehmen uns die Wähler weg", klagte ihr Sprecher Kenneth Kristensen Berth jüngst. Das klang ein wenig verzweifelt. "Dabei sind wir doch das Original."

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SZ vom 04.06.2019
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