Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Dänemark:Ministerpräsidentin muss um Macht bangen

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Der 1. November könnte Dänemarks politische Landschaft umpflügen, denn neue Parteien dürften viele Stimmen gewinnen. Die Wahl steht im Zeichen der aktuellen Krisen.

Von Kai Strittmatter, Stockholm

Dänemark geht am kommenden Dienstag zur Wahl, und noch ist unklar, ob die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen an der Macht bleiben wird. Das liegt vor allem an der gewaltigen Wählermigration, die die Umfragen vorhersagen: Fast jeder zweite Befragte gibt demnach an, diesmal für eine andere Partei stimmen zu wollen als bei den letzten Parlamentswahlen 2019. Die dänische Parteienlandschaft wirkt zurzeit denn auch erstaunlich unbeständig. Die dänische Wochenzeitung Weekendavisen spricht vom "unberechenbarsten Wahlkampf seit Menschengedenken".

Die Wahl war vorzeitig ausgerufen worden, ein halbes Jahr bevor die laufende Wahlperiode eigentlich endet. Indirekt ist das der aufsehenerregenden Schlachtung aller dänischen Nerze im Jahr 2020 geschuldet: Eine Untersuchungskommission hatte im vergangenen Juli in ihrem Abschlussbericht festgestellt, dass der von der Regierung erlassene Befehl zur Schlachtung ohne Rechtsgrundlage, also illegal erfolgte. Daraufhin zwangen die Sozialliberalen, eigentlich eine wichtige Unterstützerpartei der sozialdemokratischen Minderheitsregierung, die Ministerpräsidentin per Ultimatum zur Ausrufung von Neuwahlen.

Belohnt werden die Sozialliberalen dafür nicht. Im Gegenteil, momentan sieht es so aus, als würden sie kommenden Dienstag zu den großen Verlierern zählen: Der Zuspruch für sie hat sich fast halbiert in den Umfragen, viele ihrer alten Wähler sind verärgert darüber, dass Dänemark inmitten historischer Krisen - Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation - in einen Wahlkampf gezwungen wurde. Die Sozialdemokraten setzen darum auch auf die Strategie, wonach turbulente Zeiten nach der sicheren Hand einer erfahrenen Staatenlenkerin verlangen. Sie haben ihren Wahlkampf ganz auf Mette Frederiksen ausgerichtet.

Blau und Rot, Kopf an Kopf

Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Vorteilen im Moment für den "roten" Links-Block. Der umfasst traditionell die Sozialdemokraten, die sie unterstützenden Sozialliberalen und die rot-grüne Einheitsliste. Leicht zurückgefallen ist auf der Gegenseite der "blaue" Block aus Bürgerlichen, Liberalen und Rechtspopulisten. Das sind einerseits gute Nachrichten für die amtierende Ministerpräsidentin, denn sie hat sich aus dem Umfragetief der letzten Monate wieder hochgearbeitet. Andererseits deuten alle Umfragen darauf hin, dass es für eine Mehrheit kaum reichen wird. Auch wenn der rote Block vorne liegt, so ist er doch noch immer einige Mandate entfernt von der Mehrheit von 90 Parlamentssitzen im 179 Abgeordneten starken Parlament.

Das liegt daran, dass die Parteienlandschaft gerade umgekrempelt wird in Dänemark. Während die alten großen Parteien quer durch die Lager allesamt verlieren, sind über Nacht neue Parteien unter Führung bekannter Gesichter entstanden, die viele Stimmen auf sich ziehen. Auf der Rechtsaußen-Seite sind das die Dänen-Demokraten der ehemaligen Politikerin der Liberalen, Inger Støjberg. Sie hatte sich als Integrations- und Ausländerministerin von 2015 bis 2019 an die Spitze eines Wettlaufes um ständige Verschärfungen des Ausländerrechts gesetzt. Ihre neue Partei löst nun aller Voraussicht nach als führende Kraft der Rechtspopulisten die in Umfragen abgestürzte Dänische Volkspartei ab.

Wichtiger für die Regierungsbildung nach der Wahl wird aber wohl die Parteineugründung von Inger Støjbergs ehemaligem Chef sein: Ex-Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen hatte nach der Wahlniederlage 2019 die Liberalen verlassen und tritt nun mit seinen "Moderaten" an. Umfragen prophezeien ihm auf Anhieb zwischen acht und elf Prozent. Das könnte ihn im Falle eines Patts zum Königsmacher machen. Zumal er der einzige Politiker bürgerlichen Zuschnitts ist, der sich offen zeigt für den Aufruf von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, wonach es Zeit sei, die alten Muster zu verlassen und eine "Regierung der Mitte" zu gründen. Wahlforscher Kasper Møller Hansen sagte der Zeitung Berlingske, Dänemarks traditionelle Blockpolitik könne diesmal "in die Luft gesprengt" werden.

Klimasorgen überwiegen Migrationssorgen

Auf der Suche nach Positivem kommentierte die liberale Zeitung Politiken in einem Leitartikel, dies sei der erste Wahlkampf in diesem Jahrtausend, der ein scheinbares "Naturgesetz der dänischen Politik" außer Kraft setze: Erstmals stehe "nicht mehr der Wettlauf um die absurdesten und demütigendsten Einschränkungen der Einwanderungspolitik im Mittelpunkt". Tatsächlich hatten auch die dänischen Sozialdemokraten unter Mette Frederiksen in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik Forderungen von Rechtsaußen in ihre Politik übernommen. Nun aber gaben in einer Umfrage des Institutes Voxmeter nur mehr knapp vier Prozent der Befragten an, die Einwanderungspolitik sei das wichtigste Thema. Fast zehn Mal so viele sorgen sich um das Klima, dann folgen die Probleme des Gesundheitswesens, Inflation und Energiepolitik.

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