Süddeutsche Zeitung

Covid-Welle in China:Virus ohne Visum

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Zum Neujahrsfest dürfen chinesische Touristen und Geschäftsleute wieder reisen. Die Nachbarländer sehnen den Ansturm herbei - und fürchten ihn zugleich wegen der hohen Infektionszahlen.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Freude ist groß in den Nachbarländern, über die Chinesinnen und Chinesen, die wieder reisen dürfen. Aber auch die Angst vor ihnen. Denn einerseits haben sie gefehlt, als Geschäftsfreunde und Touristen von Thailand über Singapur bis Indonesien. Andererseits weiß niemand, welche Covid-19-Variante sie im Gepäck mitbringen.

Die chinesischen Behörden meldeten am Samstag, dass zwischen dem 8. Dezember, also nachdem das Land eine Kehrtwende in der Pandemie-Politik vollzog, und dem vergangenen Donnerstag insgesamt 59 938 Todesfälle im gesamten Land in Zusammenhang mit Covid-19 aufgetreten sind. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekräftigte laut Angaben der Behörde in Gesprächen mit Dr. Ma Xiaowei, dem Direktor der Nationalen Gesundheitskommission Chinas, die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit und Transparenz, wie es in einer Erklärung vom Wochenende heißt. Doch der Mangel an Daten mache es der WHO schwer, den betroffenen Ländern Ratschläge zu geben.

"Die Behörde gab an, sie verfüge noch nicht über genügend Informationen, um die Gefahren des Anstiegs und eventueller Varianten vollständig einschätzen zu können", berichtete die The Straits Times aus Singapur. In dem Stadtstaat, der besonders enge Verbindungen zu Peking pflegt, macht man sich Sorgen. Dabei steht der große Ansturm noch bevor: Am 22. Januar, dem kommenden Sonntag, wird das chinesische Neujahrsfest gefeiert.

Vor der Pandemie markierte der Termin die Hauptreisezeit in China sowie dem benachbarten Ausland und galt als größte Migrationsbewegung weltweit. In Bangkoks Chinatown werden bereits die Drachen aufgebaut, denn Drachen gehen immer, auch wenn 2023 das Jahr des Hasen gefeiert wird. Traditionell wird die Yaowarat Road an dem Tag voller Tänzer und Licht-Shows sein, die Menschen drängeln sich von den Tempeln zu den Essständen in die Bars. Ein Superspreader-Event.

Testpflicht, keine Testpflicht - Thailands Flip-Flop-Politik

In Thailand gab das Gesundheitsministerium daher schon vor einer Woche neue Einreisebedingungen mit verpflichtenden Tests heraus, um gleichzeitig die Chinesen willkommen zu heißen und die eigene Bevölkerung zu beruhigen. Drei Tage später wurde die neue Regelung wieder einkassiert, weil die Fluglinien in anderen Teilen der Welt keine Passagiere mehr mitnehmen wollten, die nicht mindestens zwei Mal geimpft sind. Der thailändische Gesundheitsminister Anutin Charnvirakul sah sich veranlasst, ein Statement herauszugeben: "Internationale Reisende, die in Thailand ankommen, müssen keinen Impfnachweis vorlegen." Auch PCR- oder Selbsttests seien nicht notwendig. Flip-Flop-Politik nennen sie diese Art des Regierens in Thailand mittlerweile.

Die Menschen in Bangkok tragen weiterhin Masken, zu tief sitzt der wirtschaftliche Schock der vergangenen Pandemie-Jahre. Zumal die Chinesen natürlich nicht als Erstes in kalte europäische Regionen reisen. Sie fliegen nach Vietnam, Thailand oder auf die Philippinen, wo man Geschäftskontakte pflegen und sich am Strand entspannen kann.

Was man in Singapur derzeit auch beobachtet: einen deutlichen Anstieg von Besuchern aus China, die sich mit mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 impfen lassen, weil den eigenen Impfstoffen nicht getraut wird. Das Unternehmen Raffles Medical, das 34 Kliniken in Singapur betreibt, meldete, dass es seit der Einführung des neuesten Impfstoffs von Moderna einen stetigen Zustrom von Besuchern aus China feststellt, gegen Ende des vergangenen Jahres war ein Anstieg von bis zu zehn Prozent zu verzeichnen.

Es gibt Berechnungen, dass täglich 9000 Menschen in China sterben

Wie viele Menschen derweil tatsächlich in China an Covid-19 erkrankt sind, beschäftigt nicht nur die WHO. Unter Berufung auf das britische Gesundheitsdatenunternehmen Airfinity, berichtete die Nachrichtenagentur Reuter s, dass die Covid-Infektionen in China am vergangenen Wochenende mit 3,7 Millionen Fällen pro Tag ihren ersten Höhepunkt erreicht haben und derzeit wahrscheinlich 9000 Menschen täglich an Covid-19 sterben. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Fällen, die gemeldet werden.

Eine weitere Irritation: Peking verlangt weiterhin, dass sich Besucher vor der Einreise testen lassen, bezeichnet solche Beschränkungen umgekehrt aber als "diskriminierend" und "unwissenschaftlich". Anfang Januar eskalierten die Spannungen mit Südkorea und Japan, da beide Länder den Flugverkehr einschränkten, Reisende aus China bei der Ankunft testeten und positive unter Quarantäne stellten. China reagierte mit der Aussetzung von Kurzzeitvisa für Südkoreaner und Japaner. Das wollen Thailand und Singapur jetzt unbedingt vermeiden. Und freuen sich lieber über die neuen, alten Besucher, als Angst vor ihnen zu haben.

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