Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Wirklich bedürftig sind andere

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Dass die Automobilhersteller die Produktion herunterfahren, verursacht bei ihnen keinen nachhaltigen Schaden. Wer stattdessen Staatshilfe verdient hat und warum.

Kommentar von Marc Beise

Man mag noch so viel über neue Mobilität reden, über Dieselskandal und den Trend weg vom Individualverkehr - wenn es hart auf hart kommt, ist der Verbrenner in Deutschland immer noch ein Kraftfeld, auf das es ankommt. Die Ankündigung, dass VW als größter deutscher Autobauer seine Bänder anhalten wird, an denen immer noch vor allem traditionelle Autos produziert werden, verbreitete sich am Dienstag in Windeseile: als Zeichen dafür, dass es wirklich ganz schlimm wird.

Dabei konnte die Nachricht eigentlich nicht überraschen. Denn erstens müssen sich die Wolfsburger, wie alle anderen Unternehmen auch, in Zeiten des Coronavirus Gedanken über Hygiene und Ansteckungsgefahr in ihren Unternehmen machen, und selbst in hoch technisierten Fabriken ist es schwer, die Menschen überall auf Abstand zu halten. Und zweitens ist offensichtlich, dass auf Wochen, wenn nicht Monate hinaus keine Autos mehr gekauft werden, warum also sollte man noch mehr auf Halde produzieren, als das ohnehin gerade geschieht?

Zwar ist die Branche eine der wichtigsten des Landes. Einschließlich der Zulieferer arbeiten hier viele Millionen Menschen, und daran hängt ein guter Teil des deutschen Wohlstands. Doch wenn die Krise irgendwann abflaut, dann wird wieder Auto gefahren, und es werden auch wieder Autos gekauft, womöglich sogar im selben Zeitraum mehr als bisher. Autobauer können sich Hoffnung auf Nachholeffekte machen - anders als etwa Restaurantbesitzer, deren Tische nach der Krise nicht zweimal vergeben werden können; die Verluste von heute bleiben für immer.

Deshalb sollte auch niemand jetzt auf die Idee kommen, den Autokonzernen Geld aus dem Rettungsfonds der Bundesregierung zuzubilligen (sie haben danach auch bisher nicht gefragt). Namentlich der VW-Konzern hat, obwohl er so viele Milliarden in die selbst verschuldete Schadensbegrenzung nach dem Dieselbetrug gesteckt hat, immer noch Geld und alle Möglichkeiten, sich zu finanzieren.

Überhaupt ist es, nachdem die Politik zu Recht viel Beifall dafür bekommen hat, unbegrenzte Hilfe zu versprechen, nun an der Zeit, darüber nachzudenken, wer wirklich bedürftig ist. Das sind zuerst diejenigen, die sich nicht selbst erholen können, der Klein- und Mittelstand und die Selbständigen: das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und von den großen Unternehmen sind es vor allem diejenigen, die systemrelevant sind - ein Wort, das aus der Finanzkrise bekannt ist. Damals wie heute sind das, ob es einem passt oder nicht, die Banken, die das Geld vermitteln, das eine moderne Wirtschaft braucht.

Systemrelevant sind auch Unternehmen, welche die Realwirtschaft in Gang halten, beispielsweise jene, die Verkehr am Boden, im Wasser und in der Luft ermöglichen. So muss, wenn es hart auf hart kommt, der Flugzeugkonzern Airbus ein Kandidat für Staatshilfe sein; die Lufthansa ist es bereits. Der größten deutschen Fluglinie geht es schlecht, obwohl sie ein seriöses Geschäftsmodell hat.

Auch das ist übrigens ein wichtiges Kriterium für Staatshilfe: Wie nachhaltig ist ein Geschäftsmodell? Wer nur auf Pump gewachsen ist, wer aus Prinzip auf Kante wirtschaftet und Wachstum ohne Substanz betreibt, der muss jetzt die Konsequenzen tragen. So wird diese schlimme Krise am Ende vielleicht dazu beitragen, dass besser gewirtschaftet wird.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2020
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