Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Steinmeier diskutiert mit Bürgerinnen und Bürgern über Impfpflicht

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Der Bundespräsident hat zu einer "respektvollen" Diskussion über das Für und Wider einer gesetzlichen Regelung eingeladen. Eine Gegnerin erhielt einen besonders hohen Redeanteil.

In einer live übertragenen Gesprächsrunde hat Steinmeier eine Diskussion über die allgemeine Impfpflicht moderiert. Zentrale Frage war, ob sich die Pandemie mit ihrer Hilfe überwinden ließe.

Geladen waren Expertinnen und Experten sowie vertretende Angehörige von Berufsgruppen, die besonders durch die Impfquote betroffen sind. Außerdem nahmen eine Bürgerin und ein Bürger teil, die dem Bundespräsidenten ihre Argumente gegen eine Impfpflicht zuvor in Briefen dargelegt hatten. Ein Teil der geladenen Gäste sprach neben Steinmeier persönlich im Schloss Bellevue, andere waren online zugeschaltet.

Steinmeier warb in seiner Eröffnungsrede für eine respektvolle Debatte über die Impfpflicht. Der Ausnahmezustand der Pandemie erhöhe zwar den Druck auf staatliches Handeln, aber er ersetze nicht die Notwendigkeit, Argumente zu wägen und Interessen auszugleichen. "Im Gegenteil: Gerade weil wir über eine solch einschneidende Maßnahme sprechen, müssen wir an ihre Begründung besonders hohe Ansprüche stellen", sagte der Bundespräsident.

Zu Beginn der Debatte sprach Steinmeier mit Kai Nagel und Cornelia Betsch darüber, was die Forschung bisher über die Wirkung der Impfung weiß. Nagel ist Mathematiker an der TU Berlin und erstellt Modelle zur Ausbreitung des Coronavirus. Er erklärte, bei der Delta-Variante bestehe ein Zusammenhang zwischen Impfquote und Todesrate. Betsch ist Psychologin und forscht an der Universität Erfurt zu den Beweggründen von Impfgegnern. Sie kritisierte, dass die Politik unzureichend über die Sicherheit der Impfstoffe aufgeklärt habe. "Bestseller an Supermarktkassen" hätten die Lücke mit Falschinformationen gefüllt. Dadurch gebe es nun eine "heiße Debatte" über die Impfung, die mehr mit Emotionen als mit Fakten geführt werde.

Anschließend berichteten ein Berliner Lehrer, die Kölner Krankenschwester Ellen Schaperdoth und die Leiterin eines Caritas-Pflegezentrums in Berlin, Sigrid Chongo, über die Situation in ihren Kollegien. Alle waren sich einig, dass eine deutliche Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen Impfungen allgemein und eine Impfpflicht befürworten. Ihre negativen Erfahrungen vor der Entwicklung der Impfstoffe seien dafür ausschlaggebend.

Ausgesprochen gegen die Einführung einer Impfpflicht waren die zugeschalteten Gäste, die durch einen Brief an den Bundespräsidenten für die Teilnahme an der Diskussion ausgewählt wurden. Oliver Foeth, Assistent der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens in Bamberg, verlas ein Plädoyer gegen die Impfpflicht. Darin betonte er insbesondere die Nebenwirkungen der Impfungen, die er für unterschätzt hält.

Die baden-württembergische Lehrerin Gudrun Gessert kritisierte ebenfalls, Nebenwirkungen würden nicht ausreichend diskutiert. Außerdem zweifle sie an der Umsetzbarkeit einer Impfpflicht und ihre medizinische Notwendigkeit. Zudem fürchte sie negative Auswirkungen auf das soziale Gefüge der Gesellschaft. Gessert beanspruchte mit Abstand den längsten Redeanteil. Sie nannte zahlreiche Quellen und Zitate, die ihre Argumente belegen sollen.

Psychologin Cornelia Betsch wünschte sich diesbezüglich einen "Fakten-Check" aller während der Diskussion aufgeführten Argumente, da es den Teilnehmenden oftmals an Fachkompetenz fehle. Betsch gab mehrmals an, Fragen des Bundespräsidenten nicht beantworten zu wollen, da sie außerhalb ihres Fachbereichs lägen. Steinmeier unterbrach Gessert mehrmals mit dem Hinweis, "das ist kein Argument gegen eine Impfpflicht."

Im Bundestag soll es zur Impfpflicht Ende Januar eine Orientierungsdebatte geben. Die SPD will dann bereits Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen. Im März soll der Prozess im Bundestag abgeschlossen werden. Danach muss noch der Bundesrat zustimmen. Bis eine Impfpflicht eingeführt wird, könnte es April sein.

Ursprünglich hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz im November dafür ausgesprochen, bereits bis Ende März eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. In Umfragen hatte sich eine Mehrheit der Deutschen für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ausgesprochen.

Insbesondere in der FDP ist die Impfpflicht umstritten. Eine Regierungssprecherin sagte am Montag in Berlin, Scholz wolle es dem Bundestag selbst überlassen, "wie er den Zeitplan gestalten will". Der Fraktionszwang für Abgeordnete soll bei der Abstimmung aufgehoben werden. Dadurch können sie bei heiklen Inhalten unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit abstimmen.

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