Süddeutsche Zeitung

Bundeskanzlerin zu Lockerungen:"Wir können uns ein Stück Mut leisten"

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Angela Merkel hat weitgehende Lockerungen im öffentlichen Leben vorgestellt. Eine App, die eigentlich gleichzeitig eingeführt werden sollte, gibt es aber nach wie vor nicht.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Angesicht gesunkener Infektionsraten in der Corona-Krise haben Bund und Länder sich am Mittwoch auf weitreichende Lockerungen im öffentlichen Leben verständigt. Neben dem Neustart der Bundesliga, der Rückkehr in die Schulen und einer Wiedereröffnung aller Geschäfte sollen auch Besuche in Pflegeheimen wieder möglich werden. Die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen wird in die Hand der Bundesländer gelegt.

"Wir können uns ein Stück Mut leisten. Aber wir müssen vorsichtig bleiben", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch nach einer Videoschalte mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder. Wichtig sei, dass für den Fall wiederansteigender Infektionszahlen ein "Notfallmechanismus" vereinbart worden sei.

In dem Beschluss, auf den sich die Bundeskanzlerin mit den Länderchefs verständigt hat, ist von einem "erheblichen weiteren Öffnungsschritt" die Rede. Ziel sei es, "die Bildungschancen von jungen Menschen zu wahren" und wirtschaftliche Schäden sowie freiheitseinschränkende Maßnahmen "auf das unbedingt Notwendige zu begrenzen". Dabei werde es den Ländern überlassen, "in eigener Verantwortung vor dem Hintergrund landesspezifischer Besonderheiten" die nächsten Öffnungsschritte vorzunehmen.

Die "Notbremse" ist wichtig

Die Lockerungen sind laut Beschluss allerdings daran geknüpft, dass die Infektionsrate niedrig bleibt. Sollten in Landkreisen oder kreisfreien Städten binnen sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern registriert werden, soll dort sofort wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept gelten. Diese "Notbremse" sei wichtig, um ein mögliches regionales Ansteigen von Neuinfektionen schnell in den Griff zu bekommen, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Dann muss man einschreiten."

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betonte, bei den Ländern liege eine "große Verantwortung". Zu den wichtigsten Lockerungen gehört die schrittweise Öffnung der Schulen mit "teilweisem Präsenzunterricht", so der Beschluss. Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf sollen dabei verstärkt in den Blick genommen werden. Für Kita-Kinder wird die Notbetreuung erweitert. Besuche in Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und Seniorenheimen sollen wieder gestattet sein, wenn der Kontakt auf eine Person beschränkt bleibt und es im Haus keine Covid-19-Infektion gibt. Alle Geschäfte sollen wieder öffnen können, wenn die "Reduzierung der Ansteckungsgefahr" sichergestellt ist. Auch der Freizeit- und Breitensport soll wieder möglich werden. Im Beschluss vom Mittwoch heißt es, unter freiem Himmel könnten die Länder den "stufenweisen Wiedereinstieg in den Trainings- und Wettkampfbetrieb" erlauben.

Die Bundesliga wird vom 15. Mai an wieder beginnen, ohne Zuschauer. Spieler und Betreuer müssen sich an Sicherheitsmaßnahmen halten und sich vor Beginn der Spielzeit einer Quarantänemaßnahme, "gegebenenfalls in Form eines Trainingslagers", unterziehen. "Vor Spielbeginn muss sichergestellt sein, dass kein Spieler infiziert ist", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der Süddeutschen Zeitung. Alle Beteiligten hätten sich eng an das gemeinsam erarbeitete Sicherheitskonzept zu halten. Privilegien für Fußballspieler gebe es nicht. Sei ein Spieler oder Betreuer infiziert, müssten alle Kontaktpersonen in Quarantäne. "Das könnte den Spielplan noch mal erheblich durcheinanderbringen."

Der Mindestabstand gilt weiter

Auch weiter gilt in Deutschland in der Öffentlichkeit ein Mindestabstand von 1,5 Metern. Die Verfolgung von Infektionsketten bleibt den Gesundheitsämtern überlassen. Eine App, die dies übernehmen sollte und eigentlich mit den Lockerungen eingeführt werden sollte, gibt es nach wie vor nicht. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums bedauerte dies. Die Opposition äußerte sich kritisch zu den Plänen von Bund und Ländern. FDP-Chef Christian Lindner sagte im ZDF, er habe sich die "Schonung der Freiheit und des Gesundheitsschutzes" schon vor 14 Tagen gewünscht. Linken-Chefin Katja Kipping drängte auf mehr Gesundheitsschutz für Beschäftigte. In den letzten Tagen gebe es in einem Fleischbetrieb und bei Amazon "Hunderte Neuinfektionen, weil der Infektionsschutz vernachlässigt wurde". Das sei "nicht hinnehmbar". Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte vor zu früher Entwarnung. "Es darf kein falsches Signal geben, wir seien bereits über dem Berg", sagte sie der SZ. Die Vorschläge seien unausgewogen. "Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Regierung genauso stark um die kümmert, die keine laute Lobby haben, wie sie der Fußballbundesliga hilft."

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SZ vom 07.05.2020
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