Süddeutsche Zeitung

Corona-Lockerungen:Jetzt wird's kleinteilig

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Das Robert-Koch-Institut beendet seine Briefings, die Bundeskanzlerin zieht sich zurück. Vorbei ist die Corona-Krise aber nicht. Das Krisenmanagement wird nur unübersichtlicher.

Von Christoph Koopmann und Kristiana Ludwig, Berlin, Berlin/München

Am Morgen, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahezu das gesamte Krisenmanagement der Coronavirus-Pandemie in die Hände der Länderchefs gelegt hat, ist den Hauptstadtjournalisten eigentlich nur noch eines geblieben: der Blick auf die Infektionszahlen. Sollten sie in einer Gegend Deutschlands in die Höhe schnellen, müsste es dort wieder strenge Kontaktbeschränkungen geben, hatte Merkel am Vorabend gesagt. Umso interessanter für die Öffentlichkeit sind deshalb jetzt die Statistiken der Infizierten, Erkrankten, Verstorbenen, Genesenen. Und umso wichtiger werden die Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), das all diese Zahlen erhebt - könnte man jedenfalls meinen. Doch am Donnerstag überraschte auch RKI-Vizepräsident Lars Schaade die Journalisten mit einem Hinweis "in eigener Sache": Ab sofort werde man die regelmäßigen Pressekonferenzen einstellen. "Die Fallzahlen gehen glücklicherweise seit einiger Zeit zurück", sagte Schaade zur Erklärung.

Dem Protest der zugeschalteten Journalisten gegen den plötzlichen Stopp seiner Informationsveranstaltung begegnete Schaade mit Merkel'scher Ruhe. Man beantworte ja weiterhin Presseanfragen, sagte er. Doch die vielen Änderungen der Infektionsschutzmaßnahmen, die die Ministerpräsidenten schon eilig angekündigt hatten, könne und wolle man nicht weiter bewerten. Die Presse solle dazu bitte "dort vor Ort" ihre Fragen stellen, an die lokalen Gesundheitsministerien. Einige Länder hätten "auch ähnliche Institute wie das Robert-Koch-Institut auf der Landesebene", sagte er, "aber nicht alle". Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stärkte dem RKI, das seinem Ministerium unterstellt ist, den Rücken: Er respektiere dessen Entscheidung, sagte er.

Tatsächlich ist es jetzt schon schwer, den Überblick zu behalten zwischen "Nordrhein-Westfalen-Plan" und "Bayern-Plan" und all den anderen Plänen zum Umgang mit der neu gewonnenen Freiheit. Die hessische Landesregierung etwa will die Regeln für Veranstaltungen lockern. Künftig dürfen 100 oder mehr Menschen zusammenkommen, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU): Es sei denkbar, dass sich etwa in Messehallen 200 Menschen versammeln. Schleswig-Holstein erlaubt immerhin bis zu 50 Sitzplätze bei Veranstaltungen, auch Berlin erlaubt ab 18. Mai bis zu 50 Teilnehmer in geschlossenen Räumen, Thüringen will sich an den "Leitlinien" aus Hessen orientieren. Das gilt allerdings nicht für Kulturveranstaltungen. Theater- und Orchesteraufführungen in Gebäuden soll es in Thüringen bis Ende August nicht geben.

Nordrhein-Westfalens Landesregierung - stets vorn dabei

Ansonsten hat die Thüringer Landesregierung einen Teil ihrer neuen Verantwortung gleich nach unten durchgereicht: Hier sollen die Kreise und kreisfreie Städte selbst darüber entscheiden können, ob sie Schwimmbäder, Bars oder Bordelle wieder öffnen. Es gehe darum, "das Pandemiegeschehen lokal zu bewerten und lokal zu handeln", teilte die Staatskanzlei mit.

Nordrhein-Westfalens Landesregierung, stets vorn dabei in Sachen Lockerungen, beglückt vor allem Sportler: Seit Donnerstag sind Betätigungen ohne Körperkontakt wie Golf oder Tennis wieder erlaubt. Am Montag dürfen Fitnessstudios öffnen, am 20. Mai Freibäder. Ab dem 30. Mai könnten sogar Freizeitfußballer oder Kickboxer wieder gegeneinander antreten. Dann nämlich sind Wettbewerbe im Breitensport erlaubt - auch solche mit unvermeidlichem Körperkontakt, sowohl draußen als auch drinnen. Theater, Opern und Kinos dürfen ebenfalls am Pfingstsamstag unter Auflagen wieder öffnen.

Auch die Regeln für die Gastronomie sind in den Ländern unterschiedlich. Im Laufe der kommenden Woche dürfen Wirte in Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Berlin und Brandenburg aufsperren. Am 18. Mai sollen sich auch in Baden-Württemberg wieder Gäste drinnen wie draußen verköstigen lassen können, in Bayern vorerst nur im Außenbereich. Bis Ende Mai wollen die meisten Länder auch Hotels und Ferienwohnungen schrittweise den Betrieb erlauben.

Ist die Corona-Krise also vorbei?

Für Kitas und Schulen haben die Länder ebenfalls unterschiedliche Regelungen gefunden. Alle wollen es zumindest schaffen, dass die Kinder vor den Sommerferien zeitweise zurückkehren können.

Ist die Corona-Krise also vorbei? RKI-Vizechef Schaade weist das zurück. "Die Epidemie ist damit natürlich nicht zu Ende, das Virus ist noch in Deutschland", sagt er. Es gebe "selbstverständlich keine Entwarnung". Könnte es denn sein, fragt eine Journalistin im vorerst letzten Pressebriefing, dass, wenn die Leute nicht weiter Abstand halten, es schon im Sommer zu einer zweiten Welle der Corona-Infektionen kommen kann? "Ja, das ist möglich", sagt Schaade: "Das kann sein."

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SZ vom 08.05.2020
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