Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Bundestag unterstützt EU-Krisenfonds

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Außer der AfD befürworten alle Fraktionen die milliardenschwere Wiederaufbauhilfe aus Brüssel. Doch sie verlangen Nachbesserungen.

Von Björn Finke, Brüssel und Cerstin Gammelin, Berlin, Berlin/Brüssel

In der deutschen Europapolitik zeichnet sich eine Kehrtwende ab. Am Donnerstag stimmten im Bundestag alle Fraktionen bis auf die AfD grundsätzlich dem Plan aus Brüssel zu, wonach die EU wegen der dramatischen Corona-Krise erstmals in großem Stil Schulden aufnehmen und diese überwiegend als Zuschüsse an Mitgliedstaaten geben soll. Die Abgeordneten verlangten aber Nachbesserungen sowie Absicherungen. "Wir werden das Programm begleiten und unterstützen", sagte Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU). Zugleich gelte "auch für Brüssel das Strucksche Gesetz", wonach kein Gesetzesvorschlag den Bundestag so verlässt, wie er eingebracht wurde.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte am Mittwoch einen 750 Milliarden Euro großen Wiederaufbaufonds vorgestellt; 500 Milliarden Euro sollen als Zuschüsse ausgezahlt werden, der Rest als Kredite. Von der Leyen hatte den Corona-Topf als "eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft" bezeichnet. Mit den Mitteln sollen wirtschaftliche Schwächen in einigen Ländern beseitigt sowie Umweltschutz, Gesundheitsversorgung und Digitalisierung gefördert werden.

Die Parlamente spielen bei dem Wiederaufbaufonds eine Schlüsselrolle: Alle 27 müssen zustimmen. Der Bundestag eröffnete die Debatte direkt am Donnerstag. Dabei stellten sich die Regierungsfraktionen von Union und SPD hinter den Plan. "Über das Ob muss man nicht streiten", sagte Unionshaushaltsexperte Eckhardt Rehberg. Ein wirtschaftlich starkes Europa liege "in unserem ureigenen Interesse". Rund 60 Prozent der deutschen Exporte gingen nach Europa. SPD-Europaexperte Markus Töns betonte, Europa brauche den gemeinsamen Fonds, "weil wir einen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben". Streit zeichnet sich ab über Höhe und Verteilung des Geldes. Rehberg kritisierte, dass neben den Zuschüssen noch 250 Milliarden Euro an Krediten ausgereicht werden sollen. Angesichts der Erfahrungen in Deutschland sei nicht klar, wie so viel Geld schnell sinnvoll investiert werden könne. Töns forderte einen deutlich größeren Corona-Topf.

Von der Opposition kam ein kräftiges "Ja, aber". "Meine Fraktion unterstützt selbstverständlich den Wiederaufbau Europas", sagte Linkenfraktionsvize Fabio De Masi. Es müsse auch Auflagen geben. "Aber warum kann das nicht sein, Steueroasen auszutrocknen?" Franziska Brantner, Europaexpertin der Grünen, forderte, die Zuschüsse an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu knüpfen. Klimaschutz müsse "das Herzstück" des Fonds sein. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff forderte ein größeres Mitspracherecht. "Das Ganze ist so neu, dass, wenn Deutschland sich beteiligen soll, der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit abstimmen muss."

Auch zwei der drei Bewerber um den CDU-Parteivorsitz signalisierten Zustimmung. "Hätten wir normale Zeiten, hätte ich gesagt, das geht nicht", sagte Friedrich Merz im Deutschlandfunk. "Aber eine so außergewöhnliche Situation, in der wir jetzt in Europa sind, erfordert auch außergewöhnliche Maßnahmen." Der Vorschlag sei "ein Quantensprung". Norbert Röttgen begrüßte den Vorschlag "grundsätzlich", aber fordert Nachbesserungen. "Es darf nicht vorrangig darum gehen, Geld zu verteilen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Eine nachhaltige Wirkung sei "nur zu erzielen, wenn in klar definierte, von der Kommission kontrollierte Reformprojekte investiert wird".

Röttgens Kritik bezieht sich auch darauf, dass die Staaten schon vorab wissen, wie viel Geld sie bekommen. Tatsächlich schreibt der Vorschlag der Kommission fest, wie viel der Corona-Topf maximal an sie ausschütten kann. Am Donnerstag veröffentlichte die Behörde die Formel, nach der die Mittel aufgeteilt werden. Kriterien sind die Bevölkerungszahl, die Wirtschaftsleistung sowie die Arbeitslosenquote der vergangenen fünf Jahre. Arme Staaten mit vielen Einwohnern und vielen Arbeitslosen erhalten mehr. Italien und Spanien sind deshalb die größten Profiteure. Die deutsche Wirtschaft zeigte sich zufrieden. Cheflobbyist Joachim Lang lobte ein "starkes Signal aus Brüssel".

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SZ vom 29.05.2020
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