Süddeutsche Zeitung

Colonia Dignidad:Strafe für den Arzt der Colonia Dignidad

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Von Peter Burghardt, Hamburg

Jahrzehntelang wurde in der deutschen Enklave im Süden Chiles verschleppt, vergewaltigt, gequält, versklavt, gemordet. Deutschlands Justiz unternahm so gut wie nichts, obwohl erste Vorwürfe gegen diese sogenannte Colonia Dignidad bereits vor einem halben Jahrhundert ans Licht kamen. Jetzt wollen die Behörden in zumindest einem prominenten Fall zugreifen, und auch das nur, weil chilenische Kollegen die Vorlage lieferten. So beschloss das Krefelder Landgericht am Dienstag, die in Chile längst gültige Haftstrafe gegen den früheren Sektenarzt Hartmut Hopp hierzulande zu vollstrecken.

Hopp leitete das berüchtigte Krankenhaus der Kolonie, die heutzutage Villa Baviera heißt, Bayerisches Dorf. Der Kinderschänder und Laienprediger Paul Schäfer hatte in den Sechzigerjahren seine Anhänger aus dem Rheinland in die Anden gelockt und dort einen Staat im Staate aufgebaut. Während der chilenischen Diktatur wurden in der Colonia außerdem Regimegegner gefoltert und umgebracht sowie Waffen und Giftgas produziert oder geschmuggelt. Hopp gehörte zu Schäfers Vertrauten und hielt die Stellung, als Schäfer geflohen und 2010 im Gefängnis in Santiago gestorben war. 2011 wurde Hopp in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt, flüchtete aber nach Deutschland.

Seither lebt er in Krefeld, obwohl ihn Interpol suchte. Die Bundesrepublik liefert deutsche Staatsbürger allenfalls an andere EU-Staaten oder an internationale Gerichte aus, so hatte der mutmaßliche Schwerverbrecher in seiner alten Heimat zunächst wenig zu befürchten. Nun folgt das Landgericht Krefeld dem chilenischen Antrag, Hopp ersatzweise in eine deutsche Haftanstalt zu schicken.

Nachdem vor zwei Jahren ein Film in die Kinos kam, wurden die Archive geöffnet

Exequaturverfahren nennt sich diese juristische Variante, die dem früheren Medizinmann des Folterlagers zum Verhängnis werden könnte. Noch ist der Vorstoß zwar nicht bindend, Hopp kann sich an das Oberlandesgericht Düsseldorf wenden. Erst nach einem rechtskräftigen Beschluss und der Zustimmung des Justizministeriums müsste sich der inzwischen 73-Jährige dem Strafvollzug stellen, oder er müsste festgenommen werden. Wenn es um die Colonia Dignidad geht, dann ziehen sich die Dinge immer wieder in die Länge - gegen Hopp wird in Deutschland schon seit den Achtzigerjahren ermittelt, in Krefeld läuft ein weiteres Verfahren gegen ihn. Doch es kommt Bewegung in den deutsch-chilenischen Krimi.

Nach dem Kinofilm des Regisseurs Florian Gallenberger hatte sich 2016 der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier an den Skandal erinnert und Archive geöffnet. Bundestagsabgeordnete reisten danach in die Villa Baviera alias Colonia Dignidad. Vor dieser Sommerpause 2017 beschlossen die Fraktionen, die Verbrechen aufzuarbeiten und den überlebenden Opfern doch noch zu helfen. "Wirklich überfällig" sei die Krefelder Entscheidung, sagte die Grünen-Abgeordnete Renate Künast. Nach der Wahl müsse man den Bundestagsbeschluss zur Colonia umsetzen und sich um einen Hilfsfonds kümmern. Auch Michael Brand von der CDU begrüßt das Urteil aus Krefeld. Aber man dürfe "nicht übersehen, dass es weitere Täter gibt, die noch unbehelligt leben, und die Opfer weitgehend vergessen sind", sagte er.

Einige der einstigen Schergen Schäfers haben sich wieder in Deutschland niedergelassen, oft in der Nähe heimgekehrter Opfer. In Chile sitzen ein paar verurteilte Kolonisten in Zellen. Die Restgemeinde macht als bizarrer Freizeitpark und Agrarbetrieb weiter, die Vermögensverhältnisse sind ungeklärt. Jan Stehle lobt ebenfalls das Krefelder Vollstreckungsverfahren gegen Hopp, er erforscht die Geschichte der Colonia seit Langem und unterstützt Geschädigte. Doch auch er warnt, dass es nicht bei Symbolik bleiben dürfe und die Ermittlungen weitergehen müssten. Und nicht nur Stehle bedauert, dass alles so lange dauert.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2017
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