Süddeutsche Zeitung

China und Japan:Kunstwerk der Beziehungskunde

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Das Treffen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit Japans Premier Shinzō Abe gerät zu einem Meisterstück der Diplomatie. Weder Peking noch Tokio wollen ihren Streit ausufern lassen. Darum vollziehen beide Seiten einen drastischen Strategieschwenk.

Von Stefan Kornelius

Chinesen und Japaner teilen bei allen Unterschieden die Liebe zur Kunst: Kalligrafie, sorgsam gemalte Schriftzeichen, feingliedrige Landschafts- und Naturmalerei. Um die feinen Striche und Miniaturen überhaupt zeichnen zu können, bedienen sich die Künstler schon mal ungewöhnlicher Techniken: Sie tragen Tusche mit einem Rattenhaar auf.

Eine vergleichbare Liebe zum Detail ist notwendig, um die Diplomatie zwischen Peking und Tokio zu verstehen. Die zwanzigminütige Begegnung zwischen Präsident Xi Jinping und Premier Shinzō Abe ist ein Kunstwerk der Beziehungskunde. Vorausgegangen war ein miniaturistisches Meisterstück, eine vier Punkte umfassende gemeinsame Erklärung, die alle Streitpunkte der Nachbarn anspricht und dennoch allen erdenklichen Raum für diplomatische Interpretationen lässt.

Erklärung und öffentlicher Händedruck reichen gleichwohl aus, um ein so drängendes wie ignoriertes Großproblem der Weltpolitik zu entschärfen: den Konflikt zwischen den Wirtschaftsmächten Nummer zwei und drei um Territorium, Geschichte und Zukunft.

Inseln, die Brandbeschleuniger sein können

Territorium: Die - je nach Standort - Senkaku oder Diaoyu genannten Inseln im Pazifik sind Auslöser und Brandbeschleuniger für die Spannungen zwischen China und Japan. Durch die kluge, deeskalierende Formulierung in ihrer Erklärung haben beide Regierungen nun klargemacht, dass sie den Konflikt nicht auf die Spitze treiben werden.

Premierminister Abe hat gleichzeitig angedeutet, dass er die Beziehungen nicht mit noch mehr historischem Ballast befrachten wird. Ob er tatsächlich auf seine Verbeugungen vor den Weltkriegsverbrechern verzichtet, ist offen. Aber Abe scheint zumindest verstanden zu haben, dass er dem Druck Chinas nicht aus der Selbstisolation heraus standhalten kann. Er hat sich nun am meisten bewegt.

Allerdings hat auch Präsident Xi allen Grund, die So-Na (die chinesische Schalmei) erklingen zu lassen. China hat in den vergangenen Monaten erkennen müssen, dass seine aggressive Nachbarschaftspolitik die Pazifik-Anrainer in die gemeinsame Abwehr getrieben hat. Japanische Direktinvestitionen sind deutlich zurückgegangen, die maritime Hochrüstung ist atemberaubend.

Deswegen Pekings drastischer Strategieschwenk: Statt Kreuzern und Schnellbooten gibt es nun Häfen und Industrieanlagen. Das chinesische Füllhorn ergießt sich über die ganze Region und schafft Bindungen, wo bisher noch Feindschaft gedieh. Die Führung spricht von der neuen Seidenstraße und lässt die Raupen fleißig am Kokon weben.

Ein Bild und seine Botschaft: Selten hat sich hinter dem verkrampften Händedruck zweier Staatsmänner eine derart komplexe Gemengelage verborgen. Aber immerhin: Sie geben sich die Hand, sie reden, wenn auch nur 20 Minuten lang, sie verabreden einen Dialog zur Verbesserung der Sicherheit auf dem Meer. Dies ist ein Signal für ganz Ostasien, wo es in letzter Zeit ein bisschen zu sehr an der Bereitschaft gemangelt hat, Bilder mit feinem Strich zu zeichnen.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2014
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