Süddeutsche Zeitung

Debatte um Sicherheitsgesetz:Chinas Botschafter zum Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten

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Chinas Diplomaten verbitten sich Kritik aus dem Ausland. Ein Aussetzen des Auslieferungsabkommens mit Hongkong hat Deutschland - anders als Kanada und Australien - bisher nicht angekündigt.

Von Daniel Brössler, Berlin, und Lea Deuber, Peking, Berlin/Peking

Der chinesische Botschafter meinte es nur gut mit Gyde Jensen. So jedenfalls sollte es wohl klingen. "Derzeit entwickeln sich die chinesisch-deutschen Beziehungen auf hohem Niveau. Als Bundestagsabgeordnete und junge Politikerin der FDP wären Sie gut beraten, statt für Gegenwind für mehr Rückenwind und für eine gesunde Weiterentwicklung unserer Beziehungen zu sorgen", mahnte der Diplomat. Das Schreiben stammt vom Juni 2018 und ist Teil eines ganzen Stapels im Büro der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Bundestag. Damals ging es um ein Treffen Jensens mit einem tibetischen Exilpolitiker, den der Botschafter mit "großem Bedauern und tiefer Unzufriedenheit" quittierte. Auch, wenn es um Xinjiang oder Hongkong geht - Beschwerden aus der chinesischen Botschaft lassen nicht lange auf sich warten. Gerne auch direkt bei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) oder FDP-Chef Christian Lindner.

Herrisch im Ton und unerbittlich in der Sache treten Chinas Diplomaten immer dann auf den Plan, wenn sie auch nur im Ansatz Gefahr für die Ein-China-Politik wittern. Im neuen Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Horst Seehofer (CSU) diese Woche präsentiert hat, wird vor den Versuchen Chinas gewarnt, "politischen Einfluss im Ausland zu gewinnen". Dabei erzeugten chinesische Investitionen in Deutschland "wirtschaftliche Abhängigkeiten, die China bei Bedarf als Hebel für politische Zugeständnisse einsetzen kann". Das ist der Verdacht, dem die Bundesregierung sich aussetzt, wenn sie etwa auf das Ende der verbrieften Freiheiten in Hongkong durch das Sicherheitsgesetz nur verhalten reagiert. Die Bundesregierung müsse "endlich viel deutlicher gegenüber China werden und dafür auch die EU-Ratspräsidentschaft und den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat nutzen", fordert Jensen. "Wer die KP Chinas jetzt gewähren lässt, gibt Hongkong verloren."

Derlei Kritik wird vom Auswärtigen Amt zurückgewiesen. Man habe gegenüber Peking "mehrfach Besorgnis darüber geäußert, dass das Gesetz die weitgehende Autonomie Hongkongs ernsthaft untergräbt und sich nachteilig auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit auswirkt". Am Freitag habe man den chinesischen Botschafter "zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt eingeladen". Staatssekretär Miguel Berger habe dabei "nochmals die Position der Bundesregierung erläutert". Ein Aussetzen des Auslieferungsabkommens mit Hongkong hat Deutschland - anders als Kanada und Australien - bisher nicht angekündigt.

Ursprünglich hatte sich Außenminister Heiko Maas (SPD) in Sachen Hongkong relativ weit aus dem Fenster gelehnt. Als der Aktivist Joshua Wong vergangenen September in Deutschland für Unterstützung der Proteste warb, ließ sich Maas mit dem damals 22-Jährigen am Rande einer Veranstaltung im Bundestag ablichten. Die chinesische Reaktion fiel heftig aus. Botschafter Wu Ken drohte mit negativen Konsequenzen. Chinas Regierung habe Berlin mehrfach gedrängt, Wong die Einreise zu verbieten. Erstmals seit vielen Jahren wurde der deutsche Botschafter in Peking bestellt. Ende September ließ Wang Yi ein gemeinsames Frühstück am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York platzen. Auf einer Europareise im Oktober machte er einen Bogen um Berlin und ließ den regelmäßigen "strategischen und sicherheitspolitischen Dialog" mit Maas ausfallen, das Gleiche beim G-20-Treffen in Japan im November. Auch der Menschenrechtsdialog entfiel. Aus deutschen Botschaftskreisen in Peking heißt es, die Beziehungen seien für längere Zeit komplett auf Eis gelegen. Erst nach Monaten frostiger Beziehungen trafen sich Wang und Maas im Februar in Berlin wieder.

Im Juni klang es dann bei Maas nach einer Kehrtwende. Bei einem Fernsehinterview sagte er, Wong verfolge einen "sehr separatistischen Ansatz". Das sei nicht die Haltung der Bundesregierung. Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung lieferte das Auswärtige Amt keine Informationen, worauf sich Maas in der Aussage bezog. Unter dem neuen Sicherheitsgesetz könnte der Vorwurf des Separatismus eine lebenslange Haftstrafe bedeuten.

Derweil droht in Berlin neuer Ärger. Eigentlich wollte der Menschenrechtsausschuss dieses Jahr nach Taiwan reisen. Auch als eine Reaktion auf zwei Reisen von Ausschüssen 2019 ins Nachbarland China, die von Peking abgesagt wurden. Wegen der Corona-Reisebeschränkungen ist die Fahrt nach Taiwan zwar nicht möglich, aber als "Reiseersatz" will der Ausschuss am 19. Oktober die Vertretung Taiwans in Berlin besuchen. Post aus der chinesischen Botschaft dürfte bei Gyde Jensen nicht lange auf sich warten lassen.

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SZ vom 11.07.2020
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