Süddeutsche Zeitung

Chemnitz:Zwischen Friedhof und Wasserwerfer

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Von Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel, Chemnitz

"Gottes Liebe kennt keine Grenzen. Sie gilt jedem Menschen." Die Botschaft, mit der die Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Chemnitz ihre Besucher grüßt, liest sich wie eine Mahnung zur Versöhnung. Doch der Mann, der an diesem Montagnachmittag auf dem Friedhof an der St.-Michaelis-Kirche beigesetzt werden soll, hat aus seinem menschenverachtenden Weltbild keinen Hehl gemacht: Thomas Haller, mit 54 Jahren einem Krebsleiden erlegen, war ein überregional bekannter Rechtsextremist. Mitbegründer der bis 2007 aktiven Organisation "HooNaRa", ein Akronym für Hooligans, Nazis, Rassisten, deren Mitglieder insbesondere in den 90er-Jahren an diversen Gewaltexzessen beteiligt waren, darunter dem Mord an einem 17-jährigen Punk. Hallers Name fand sich auch in Adressbüchern und Handyspeichern von NSU-Unterstützern.

Auf dem Parkplatz des Alt-Chemnitz-Centers hat sich um die Mittagszeit eine schwarze Menschentraube gebildet. Etwa 1000 Menschen sind gekommen, um Thomas Haller das letzte Geleit zu geben. Der Aufruf zum Trauermarsch für den "Freund und Kamerad" hatte sich in den Tagen zuvor über die sozialen Netzwerke verbreitet. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort, hat Unterstützung aus mehreren Bundesländern sowie durch die Bundespolizei angefordert. Ganz in der Nähe parken Wasserwerfer. Eine Versammlung ist laut Polizeisprecherin nicht angemeldet, die "Gefährdungslage schwer einzuschätzen".

Ein paar hundert Meter sind es vom Einkaufszentrum bis zum Friedhof. Die Menge setzt sich schweigend in Bewegung, vorbei am Autohaus und dem Möbelhaus. Viele der Teilnehmer haben im Einkaufscenter noch schnell ein paar Blumen besorgt, andere tragen Gestecke in den Vereinsfarben des Chemnitzer FC. "In Trauer um den größten Kämpfer", steht auf einer der seidenen Schleifen. Knapp eine Stunde harrt der Zug vor der Kirche aus, bevor der Leichenwagen vorfährt. Immer wieder bedrohen einzelne Teilnehmer Journalisten, spucken in Richtung der Kameras, zischen "Eure Zeit kommt auch noch!"

Am Kopf des Zuges tragen Männer ein aufwendiges Gebinde aus weißen Rosen, Gerbera und himmelblauen Bändern. Es stammt von Kaotic Chemnitz, jener Hooligan-Gruppierung, die nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. im Spätsommer 2018 binnen weniger Stunden für eine Spontandemonstration mobilisierte, an deren Rande es zu Übergriffen auf Polizisten und Migranten kam.

Vertreter aus dem Umfeld von Pegida und AfD

Erst wenige Tage ist es her, dass Hooligans während der Regionalligapartie des Chemnitzer FC gegen die VSG Altglienicke erneut ihre Macht demonstrierten, ein Kreuz hissten, Bengalos zündeten. Am Zaun hing ein Banner in altdeutscher Schrift - "Ruhe in Frieden, Tommy". Ein Trauerspiel, das die Stadt erneut bundesweit in die Schlagzeilen brachte. Auch weil der Verein die teils offen rechtsextremen Fans nicht nur gewähren ließ, sondern in ihrem Ansinnen noch unterstützte.

Bis 2006 leitete Thomas Haller den Ordnungsdienst des Chemnitzer FC, bis zuletzt ein Security-Unternehmen, das Großveranstaltungen absicherte, wie das Chemnitzer Stadtfest oder Motorsportrennen auf dem Sachsenring. Nach seinem Tor hielt der FC-Stürmer Daniel Frahn ein T-Shirt zu Ehren des Toten hoch, darauf zu sehen war die Losung: "Support your local hools".

Wie groß die Unterstützung tatsächlich ist, zeigt sich an diesem Montag auf der Annaberger Straße. Polizisten bilden eine Kette, an der die rechtsextreme Trauergemeinde vorüberzieht. Einige haben sich ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, tragen Sonnenbrillen. Unter jenen, die sich nicht vermummen, lassen sich stadtbekannte Neonazis ausmachen, Szenegrößen wie Michael Regener, Sänger der rechtsextremen Band "Landser" - aber auch Vertreter aus dem Umfeld von Pegida und AfD.

Der Chemnitzer FC will nun Strafanzeige gegen Unbekannt stellen wegen unerlaubter Nutzung des Vereinsenblems. Einige Trauerkränze trugen nicht nur Schleifen in Vereinsfarben, sondern auch das Logo der "Himmelblauen". Ein zweites Mal will der Verein sich wohl nicht vereinnahmen lassen.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2019
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