Süddeutsche Zeitung

Spitzenkandidat de Jager im Interview:Nord-CDU nimmt Kurs auf "Jamaika" in Schleswig-Holstein

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Flirt mit dem politischen Gegner: Drei Tage vor der Wahl in Schleswig-Holstein attestiert CDU-Frontmann Jost de Jager den Nord-Grünen, regierungsfähig zu sein. Im SZ-Gespräch stellt der Ministerpräsidentenkandidat schwarz-grüne Gemeinsamkeiten heraus, behauptet, seine Landes-CDU sei nicht mehr konservativ - und ätzt gegen die Piraten: Von denen könne man "nichts lernen".

Oliver Das Gupta

Jost de Jager, Jahrgang 1965, wurde unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr - seitdem gilt der gelernte Journalist als Aktivposten der Landesregierung. Als CDU-Frontmann Christian von Boetticher im vergangenen Sommer wegen einer Beziehung zu einer Minderjährigen zurücktrat, wurde de Jager neuer CDU-Landeschef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 6. Mai. Er gilt als Befürworter des Atomausstiegs und wird auch vom politischen Gegner geschätzt. Angesichts aktueller Umfragewerte ist eine Fortführung von Schwarz-Gelb in Kiel ebenso unrealistisch wie eine Mehrheit für SPD und Grüne - das Erstarken der Piraten macht die Regierungsbildung an der Förde wohl kniffliger denn je. Jost de Jager will auch kurz vor der Wahl keine Koalitionsaussage machen: Das habe er monatelang durchgehalten, sagt er beim SZ-Gespräch in seinem Wirtschaftsministerium in Kiel, das bleibe auch so bis zur Wahl am Sonntag.

SZ: Herr de Jager, sind Sie eigentlich sehr froh über die Piraten?

Jost de Jager: Es ist klar, dass ihr Erstarken sich auf die Mandatsverteilung auswirkt. Aber froh bin ich darüber nicht.

SZ: Seitdem die Piraten in Schleswig-Holstein in Umfragen so stark sind, hat Rot-Grün keine Mehrheit mehr.

de Jager: Das stimmt. Die Piraten werden heute sicher von vielen Leuten gewählt, die früher zu den Grünen tendierten, aber im Saarland waren auch frühere CDU-Anhänger dabei. Die Masse der Protestwähler hat zugenommen, das ist bedauerlich. Ich nehme diese Entwicklung sehr ernst: Der Erfolg der Piraten baut auf der Enttäuschung über die etablierten Parteien.

SZ: Kann man von den Polit-Neulingen etwas lernen?

de Jager: Nein, bislang kann man von den Piraten nichts lernen. Die meisten ihrer Forderungen sind schlicht illusorisch. Die Masse ihrer Wähler stimmt für sie, weil man sie für eine reine Protestpartei hält - und nicht deshalb, weil sie sich netzaffin geriert.

SZ: Die Piraten stehen auch für eine neue Form von Partizipation.

de Jager: Wir stehen fraglos am Beginn eines neuen Zeitalters von Bürgerbeteiligung und Transparenz. Künftig müssen wir viel häufiger und besser die Meinung der Menschen einholen. Aber diesen Trend gab es schon vor dem Aufkommen der Piraten. Die Entwicklung wird durch sie nur noch mehr offenbar. Die Piraten haben Bürgerbeteiligung doch nicht erfunden.

SZ: Kann es sein, dass die Piraten auch Zuspruch bekommen, weil die etablierten Parteien sich gerade in diesem Wahlkampf im hohen Norden besonders arg zoffen?

de Jager: Wir haben in diesem Wahlkampf keine besondere Zuspitzung. Wir arbeiten lediglich die Konturen etwas mehr heraus.

SZ: Untertreiben Sie da nicht ein bisschen? Beim Abschied von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen rührte SPD-Landeschef Ralf Stegner keinen Finger. Auf der anderen Seite sorgt die Wahlkampagne der CDU für mächtig Ärger, die Opposition fühlt sich diffamiert.

de Jager: Wir reagieren lediglich inhaltlich auf Dinge, die vom politischen Mitbewerber kommen: Dass man Tanzveranstaltungen an Karfreitag künftig zulässt, widerspricht unserem Standpunkt als Christdemokraten. Wenn man den Gymnasiallehrer abschaffen will, dann ist das der erste Schritt zu einer Abschaffung der Gymnasien. Und SPD, Grüne und SSW wollen an die Existenz der kleineren Gemeinden - und zusätzliche Schulden in Höhe von 1,8 Milliarden Euro machen. Wir sagen nur laut und deutlich: Das alles will die CDU nicht.

SZ: Der Grünen-Spitzenkandidat spricht im SZ-Interview von Anschuldigungen, die "erstunken und erlogen" seien und wähnt die CDU im "Schützengraben". Was sagen Sie dazu?

de Jager: Das sieht er zu dramatisch. Wir sagen nur, was dem Land bevorsteht, wenn SPD, Grüne und SSW nach der Wahl regieren würden.

SZ: Sie wollen mit der FDP regieren, aber für Schwarz-Gelb wird es wohl nicht reichen. Wer ist denn sonst noch kompatibel?

de Jager: Wir gehen ohne Koalitionsaussage in diese Wahl. Wir werben für die eigene Stärke und sehen hinterher, mit wem es passt. Ich stelle mich darauf ein, dass die Regierungsbildung ziemlich lange dauern wird, mit vielen Sondierungsgesprächen hin und her.

SZ: FDP-Mann Wolfgang Kubicki sagt, er könne sich eine Koalition mit der SPD unter Landeschef Ralf Stegner nicht vorstellen, das sei so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Sagen Sie das auch?

De Jager: Parteien koalieren und nicht Menschen. Entscheidend wird am Ende nicht sein, wer mit wem koalieren will - sondern wer mit wem koalieren kann.

SZ: Was schätzen Sie denn am SPD-Spitzenkandidaten Torsten Albig?

de Jager: Er ist sympathisch und ein guter Kommunikator. Aber sein Wahlkampf bleibt wolkig: Da meidet er konkrete Aussagen. Das ist schwach für einen Mann, der Ministerpräsident werden will. Die Bürger wissen bei ihm nicht, was sie bekommen.

SZ: Und was schätzen Sie an den schleswig-holsteinischen Grünen?

De Jager: Die Grünen haben in Schleswig-Holstein viel Substanz aufgebaut, die zu soliden Positionen geführt hat. Die haben viel gearbeitet - auch an sich. Das erkenne ich an.

SZ: Das sagt der Kandidat Jost de Jager, aber wie steht es denn um Ihre Landespartei? Wie konservativ ist die Nord-CDU noch?

de Jager: Die Grünen sind im Norden anders, genauso wie die CDU besonders ist. Die Konservatismus-Debatte spielt hier keine Rolle mehr. Wir sind keine konservative Partei mehr. Wir haben uns in der Energiepolitik früh entwickelt und auf regenerative Energien gesetzt. Das ist ein Anknüpfungspunkt von CDU und Grünen. Auch in der Finanzpolitik liegen wir nicht so weit auseinander.

SZ: Es sieht so aus, dass es Wolfgang Kubicki mit seiner FDP doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Geht das auf Kosten der CDU?

de Jager: Nein, es freut mich, dass die Chancen der FDP wieder besser aussehen. Eine starke FDP-Fraktion im Landtag ist in unserem Interesse. Denn bei aller Offenheit für andere Bündnisse: Wir dürfen uns in keine babylonische Gefangenschaft mit einer Partei begeben, die mit uns eigentlich lieber nicht koalieren will. Wir brauchen die Liberalen als strategischen Partner.

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