Schleswig-Holsteins Grünen-Spitzenkandidat Habeck:"Die Piraten sind Merkels Kinder"

Warnung vor einem "Schweine-Wahlkampf": Wenige Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein attackiert der Grünen-Frontmann CDU und Piraten massiv. Im SZ-Gespräch wirft Robert Habeck den Polit-Neulingen vor, die Daten-Sammelei von Facebook und Google hinzunehmen und Kreative zu bekämpfen. Der Union traut er nicht mehr über den Weg.

Von Ralf Wiegand und Oliver Das Gupta

Eigentlich ist Robert Habeck Schriftsteller, in die Politik ging der promovierte Philosoph erst 2002. Sein Aufstieg verlief rasant: Er wurde schleswig-holsteinischer Landesparteichef, danach wechselte er in den Grünen-Fraktionsvorsitz im Kieler Landtag. Der inzwischen 42 Jahre alte Familienvater entideologisierte seine Partei und spricht sich für einen "linken Patriotismus" aus - inzwischen gelten die Nord-Grünen sogar in der CDU und FDP als regierungskompatibel. 2011 lagen die Landesgrünen in Umfragen bei 22 Prozent, inzwischen sind es etwa 13 Prozent. Das Absinken liegt auch am Erstarken der Piraten, das Habeck nicht ungerührt lässt: Während des Gesprächs mit der SZ, das in seinem Büro im Kieler Landeshaus stattfindet, attackiert er die neue Partei massiv. Und wie ist das Verhältnis zwischen den Piraten-Kandidaten und ihm? "Entspannt", sagt Habeck, "wie zu anderen Politikern auch."

Spitzenkandidat der Partei Buendnis 90/die Gruenen füer die Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Fraktionschef Robert Habeck

Spitzenkandidat der Partei Bündnis 90/die Grünen für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Fraktionschef Robert Habeck

(Foto: dapd)

SZ: Herr Habeck, unter Tränen nahm CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen Abschied von der Politik. Wie fällt seine Bilanz aus?

Robert Habeck: Der Mensch Carstensen blieb wohl weitgehend derselbe, sein Regierungshandeln nicht: Es gab Phasen, in denen seine Politik buchstäblich stillstand. Die schlechteste Phase ist die aktuelle, in der die FDP ihn schlechte Politik absegnen lässt: Glücksspielgesetz, Wachstumsbeschleunigungsgesetz, ein Schulgesetz, das das Land wieder in dämliche Debatten gestürzt hat.

SZ: Carstensen zeigte früh, dass er Sie wertschätzt. Ist es sein Verdienst, wenn man in Schleswig-Holstein relativ unaufgeregt über Schwarz-Grün redet?

Habeck: Dieses Schwarz-Grüne ist zu einem gewissen Teil eine optische Täuschung. Ich habe auch zu Wolfgang Kubicki von der FDP ein intaktes Verhältnis. Daraus Farblehren abzuleiten wäre völlig über den Durst.

SZ: In Kiel war der persönliche Umgang von Politikern seit der Barschel-Affäre besonders giftig. Dass im Umkehrschluss ein respektvolles Miteinander als Basis für Zusammenarbeit wirkt, liegt nahe.

Habeck: Sicher ist es gut, wenn Leute miteinander regieren, ohne Ausschlag zu kriegen, wenn sie sich sehen. Aber noch wichtiger sind Inhalte und deren Umsetzung. Macht ist ja kein Selbstzweck.

SZ: Was bedeutet das auf die Grünen übertragen?

Habeck: Wir definieren uns nicht mehr über ein rot-grünes Bündnis, auch wenn sich im Wahlkampf Rot-Grün als Alternative zur großen Koalition rausgeschält hat. Wir definieren uns auch nicht über andere Bündnisse und über die Ausschließerei von Bündnissen. Es ist wichtig, Rituale und eingefräste Verhaltensmuster zu überwinden. Das hat mich einiges gekostet, die Leute waren nicht nur begeistert. Aber dieser Ansatz steht meinem Landesverband und auch mir persönlich gut an.

SZ: Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Macht? Sie haben doch einen Machtanspruch.

Habeck: Es ist gut für Schleswig-Holstein, wenn wir regieren. Aber ich bin nicht bereit, dafür alle Differenzen zuzukleistern. Meine Partei würde mir zu Recht die Hammelbeine langziehen, wenn ich einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der nicht das hergibt, was wir uns erarbeitet haben: Einen starken Gestaltungsanspruch - aufbauend auf den existierenden Realitäten.

SZ: Überall in der Republik müssen die Grünen Kröten schlucken: Stuttgart21 und in Hamburg das Kraftwerk Moorburg, hier in Schleswig-Holstein die heftig bekämpfte Belt-Querung, die nun in einem Staatsvertrag fixiert ist.

Habeck: Jeder Partei steht Realismus gut an. Verträge sind einzuhalten und Volksentscheide umzusetzen. Man sieht an der FDP, was passiert, wenn man sich der Wirklichkeit verweigert: Sie kam an die Regierung und wollte unbedingt Steuern senken - und dabei wusste niemand, wo die Kohle dafür herkommen soll. Hier im Norden sieht man diese Wirklichkeitsverweigerung bei der Linken.

SZ: Verweigern sich auch die Piraten der Realität?

Habeck: Die Piraten arbeiten seit sechs Jahren an den richtigen Fragen zur Realität. Um als Partei visionär zu sein, muss man aber Realitäten von morgen denken, entwickeln und Mehrheiten entwickeln können.

SZ: Aber die Piraten haben gute Chancen, ins Kieler Landeshaus einzuziehen. In Umfragen wachsen ihre Werte, die der Grünen stagnieren.

Habeck: Ich nehme zur Kenntnis, dass Parteien auch aus einer diffusen Protesthaltung heraus gewählt werden. Für die Grünen war Protest immer nur der Ausgang für politische Alternativkonzepte. Das ist unser Angebot: Verdruss in Gestaltungsoptionen umwandeln. Bei der Wahl geht es um die Lebensumstände von Menschen für die nächsten fünf Jahre.

SZ: Sie werden pathetisch.

Habeck: Das meine ich auch pathetisch! Wie viele Kinder in Krisengebiete abgeschoben werden, hängt davon ab, welche Partei Einfluss am Kabinettstisch hat. Welche Kinder in welches System eingeschult werden, ob sie später die Chance haben, Abitur zu machen, hängt von der Bildungspolitik der kommenden Koalition ab. Das Gleiche gilt für die Frage, welche Jobs durch die Energiewende entstehen und ob es Mindestlöhne gibt. Über all das können die Bürger am 6. Mai abstimmen. Das ist keine Pillepalle-Wahl.

"Bei drohendem Machtverlust hüpft die CDU in den Schützengraben"

SZ: Und plötzlich kommen die Piraten daher und machen eine Regierungsbildung wohl besonders knifflig. Sind Sie nicht doch ein bisschen angesäuert?

Habeck: Ich stehe mit einem gewissen Unverständnis all denjenigen gegenüber, die sagen: "Ist doch sowieso egal, wer regiert, ihr macht doch alle das Gleiche." Das stimmt nämlich nicht. Die Auseinandersetzung dreht sich um Inhalte.

SZ: Und auch um Emotionen: Beim letzten Umfragehoch der Piraten posteten Sie bei Facebook: "Gute Nacht, Schleswig-Holstein".

Habeck: (lacht) Es war später Abend! Aus meiner Sicht sind die Piraten gerade genauso überbewertet wie andere Parteien. CDU oder SPD haben zweieinhalbmal so viel wie wir - ist das etwa gerecht? Wenn 85 Prozent uns nicht wählen, ist doch noch ordentlich Luft nach oben, oder? Ich setze mich mit den Piraten genauso auseinander wie mit anderen Parteien. Wogegen ich mich wehre, ist die Parallelisierung von Piraten und Grünen. Die Geschichte der ersten Jahre unterscheidet sich drastisch.

SZ: Inwiefern?

Habeck: Die Grünen konnten sich sechs Jahre nach ihrer Gründung vor Grundsatzprogrammen und Parteitagsbeschlüssen kaum mehr retten. Die Piraten haben ein paar-seitiges Gründungsprogramm - das war's. Auf dem Bundesparteitag ist das Programm jetzt wieder der Selbstbeschäftigung zum Opfer gefallen. Der Erfolg der Grünen hingegen kam zustande, weil sie für Interessen gegen andere Interessen gekämpft haben: Gegen die Atomindustrie, für erneuerbare Energien. Gegen das Patriarchiat, für Gleichstellung....

SZ: Gegen Zensur, für Transparenz - das propagieren die Piraten.

Habeck: Aber stimmt das denn? Zwei Beispiele: Die Haltung der Piraten zu Facebook und Google: die ist changierend. Die Piraten scheinen das einfach hinzunehmen. Nach dem Motto: Das ist eben so. Mit denen legen die sich nicht an. Wir dagegen stehen auf der Seite der Datenschützer. Die Piraten führen lieber ihren Kampf gegen eine andere Gruppe: die Künstler, die Kreativen im Netz. Die attackieren die Schwächsten, statt mit dieser Gruppe Wege zu finden, solidarische Systeme aufzubauen.

SZ: Beispiel zwei?

Habeck: Die Pseudonymität bei den Liquid-Democracy-Tools. Im Netz soll man sich anonym oder unter Pseudonym bewegen können, aber in einer Partei muss man sagen, wofür man steht. Und eine Partei muss sagen, wofür sie steht. Keine Antwort ist auch keine Lösung.

SZ: Auch die etablierten Parteien verändern permanent ihre Positionen.

Habeck: Können Sie noch aufzählen, wie oft die Regierung Merkel ihre Positionen in der Euro-Krise gewechselt hat? Von "kein Cent für Griechenland" bis zum ESM war alles dabei. Bei der Energiewende wechselte Merkel vom Atom-Jubel fast über Nacht zum beschleunigten Ausstieg. Frauenquote, Wehrpflicht, Mindestlohn, die Liste ließe sich fortführen. Insofern spiegeln die Piraten die Orientierungslosigkeit und Wertelosigkeit der momentan Regierenden. Die Piraten sind Merkels Kinder. Aber dass das so ist, muss ja nicht heißen, dass es gut ist.

SZ: Herr Habeck, die Umfragen sagen voraus, dass - abgesehen von einer großen Koalition - nur ein Dreierbündnis in Kiel regieren kann...

Habeck: Es wird jedenfalls knapp. Aber Zweier ist besser als Dreier.

SZ: Mit wem würde es sich denn aus Grünen-Sicht am leichtesten regieren?

Habeck: Unser erster Ansprechpartner ist die SPD. Die Union hat schon früh im Wahlkampf ideologisiert. Und macht es jetzt in einer Weise, die an Diffamierung grenzt. Da wird vor "Sozialismus", der Einheitsschule und einer "charakterlosen" Verschuldungsorgie gewarnt - alles Dinge, die erstunken und erlogen sind. Wie soll man mit solch einer Borniertheit umgehen? Da bricht doch jede sachliche Auseinandersetzung ab. Bei drohendem Machtverlust hüpfen die von der CDU in ihre Schützengräben. Wenn Unwahrheiten kampagnenfähig werden, haben wir in Schleswig-Holstein wieder den alten Schweine-Wahlkampf.

SZ: Bliebe neben der Dänen-Ampel von SPD, Grünen und SSW noch Rot-Gelb-Grün. Fänden Sie ein Zusammengehen mit der FDP charmant? Wolfgang Kubicki lobt Sie im SZ-Interview schon.

Habeck: (lacht) Kubicki tut alles, wenn es seinen Machtgelüsten dient! Das Letzte, was Schleswig-Holstein braucht, ist eine Regierungsbeteiligung der FDP. Bleibt die FDP bei der Wahl unter fünf Prozent, würde Kubicki mir als Sparringspartner im Landtag fehlen. Aber diesen Verlust nehme ich gerne in Kauf.

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