Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Warum die Bundeswehr Verstärkung braucht

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Die Truppe operiert am Limit und in manchen Bereichen schon darüber hinaus. Wo zusätzliche Leute benötigt werden - und wie sie für die Bundeswehr gewonnen werden sollen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Auf den ersten Blick wirkt die Zahl geradezu harmlos. Etwa 3400 Bundeswehrsoldaten befinden sich derzeit im Auslandseinsatz - das ist gerade mal ein Drittel jener Höchstzahl, die 2002 mit mehr als 10 400 Soldaten erreicht wurde. Trotzdem haben zuletzt die Rufe nach einer Vergrößerung der Bundeswehr zugenommen, erst am Wochenende hatte der Bundeswehrverband Alarm geschlagen. Man sei "seit Ende 2014 im roten Bereich", so formulierte es der Vorsitzende André Wüstner in der Rheinischen Post. Aber warum eigentlich?

Dazu tragen mehrere Faktoren bei. So hat die Landes- und Bündnisverteidigung durch das mittlerweile wieder angespannte Verhältnis zu Russland einen vollkommen anderen Stellenwert als in den Jahren zuvor. Allein in diesem Jahr nehmen mehr als 5500 Bundeswehrsoldaten an 21 Übungen am östlichen und südöstlichen Rand des Nato-Bündnisgebiets teil. Und es gibt weitere Nato-Verpflichtungen, die nach derzeitiger Planung in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen werden.

Knapp 6900 zusätzliche militärische Stellen soll es geben - ein ehrgeiziges Ziel

Hinzu kommt, dass etwa die Marine durch zahlreiche Einsätze derzeit personell wie materiell am Limit operiert oder sogar schon darüber hinaus ist. Und schließlich fallen noch interne Besonderheiten ins Gewicht. So haben Zeitsoldaten, die das Ende ihrer Dienstzeit erreicht haben, Anspruch auf den sogenannten Berufsförderungsdienst, kurz BFD, mit dem sie sich auf den zivilen Arbeitsmarkt vorbereiten können. Zwar gilt seit einigen Jahren die Regelung, dass die Soldaten den BFD erst im Anschluss an ihre Dienstzeit in Anspruch nehmen und nicht währenddessen. Allerdings gibt es noch etwa 10 000 Altfälle, deren BFD in der Dienstzeit liegt, die also der Truppe nicht zur Verfügung stehen.

Diese und weitere Faktoren haben die Militärplaner im Verteidigungsministerium nach Informationen der Süddeutschen Zeitung einen Bedarf von 14 300 zusätzlichen militärischen Dienstposten errechnen lassen, die man bis 2023 benötige. Das entspricht fast genau jenen 15 000 zusätzlichen Stellen, die Verbandschef André Wüstner am Wochenende gefordert hat. Weil man im Ministerium aber selbst nicht damit rechnet, diese Zahl bis 2023 zu erreichen, also bis zum Ende des aktuellen Planungszeitraums, sollen es nach Angaben aus Militärkreisen zunächst knapp 6900 zusätzliche Soldaten und etwa 4400 zusätzliche zivile Beschäftigte sein. Weitere 5000 Dienstposten soll die Truppe durch interne Optimierung selbst erwirtschaften.

Großflächige Plakate werben um die begehrten Cyber-Nerds

Aber auch so sind die Zahlen schon ambitioniert. Erreichen will man den Zuwachs offenbar mit einer Mischung aus internen und externen Maßnahmen. Verstärkte Werbung um frisches Personal soll durch interne Flexibilisierung flankiert werden. Wer die Altersgrenze erreicht hat, aber gern länger dienen will, soll das tun können, sofern er geeignet ist. Auch Zeitsoldaten werden ihren Dienst verlängern können - und Soldaten soll nach ihrem Dienst der Weg auf zivile Dienstposten erleichtert werden. Darüber hinaus könnten flexible Modelle für Quereinsteiger entwickelt werden. So soll es möglich sein, bei fachlicher Eignung einige Jahre bei der Bundeswehr zu verbringen und dann wieder auszuscheiden. Genaue Vorschläge werden derzeit entwickelt, im Herbst soll eine umfassende "Personalstrategie" vorgestellt werden.

Und wo soll das zusätzliche Personal hin? Bedarf hat etwa die gerade entstehende Cybertruppe - derzeit wird unter anderem mit Großflächenplakaten um die sogenannten Nerds geworben, die ihre Kenntnisse in den Dienst der Bundeswehr stellen sollen. Aus Militärkreisen ist außerdem zu hören, dass auch die Spezialkräfte des Heeres und der Marine mit zusätzlichen Dienstposten bedacht werden sollen. Zudem soll es mehr medizinisches Personal geben.

Dass etwa drei Viertel der zusätzlichen Stellen tatsächlich der Truppe zugute kommen sollen, dürfte all jene freuen, die bereits seit Jahren aufgeblähte Führungsstrukturen bemängeln. Tatsächlich war die Führungsebene im Zuge der Verkleinerung der Bundeswehr proportional weniger stark abgeschmolzen worden, als es mit den Ebenen darunter geschah. Von jenen 25 Prozent der Stellen, die in Ämtern und Kommandobehörden hinzukommen sollen, könnten dem Vernehmen nach gut 50 eingesetzt werden, um das Management der teils hochproblematischen größten Rüstungsprojekte zu unterstützen. Hier sollen laut Militärkreisen außerdem künftig gut 100 zusätzliche zivile Mitarbeiter eingesetzt werden.

Was verbirgt sich hinter dem "atmenden Personalkörper"?

Und was ist gemeint, wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nun von einem "atmenden Personalkörper" spricht und betont, es solle keine starre Obergrenze mehr geben? Dazu wie auch zu den genauen Zahlen will sich ihr Ministerium nicht äußern und verweist darauf, dass die Pläne in den nächsten Tagen vorgestellt würden.

In Militärkreisen wird das Modell allerdings so erklärt: Ein "Personalboard" erstellt jährlich eine Prognose über den Personalbedarf der kommenden Jahre. Falls sich dabei etwa abzeichne, dass man mehr Soldaten bekommen könne als die bis 2023 angepeilten knapp 6900, könne man diese Zahl auch erhöhen. Und falls es zu überraschenden Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage komme, könne die Zahl ebenfalls korrigiert werden - nach oben wie nach unten. Allerdings rechnet derzeit wohl kaum jemand damit, dass der Bedarf in den nächsten Jahren sinkt.

Bleibt ein Problem: das Geld. Nicht umsonst soll das Personalboard den Bedarf jährlich vor Beginn der Haushaltsverhandlungen festlegen.

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SZ vom 09.05.2016
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