Süddeutsche Zeitung

Rüstung:100 Milliarden Euro können nur ein Anfang sein

Lesezeit: 2 min

Die Summe wirkt gigantisch, dürfte aber schnell ausgegeben sein - so sehr wurde die Bundeswehr bisher vernachlässigt. Wie es weitergeht, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist? Da bleiben Ampel und Union leider wolkig.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

Das größte Sanierungsprogramm in der Geschichte der Bundeswehr kann anlaufen. Das Ampelbündnis unter Führung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Union haben sich am späten Sonntagabend darauf verständigt, in den kommenden Jahren 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren. Für die Truppe und für nichts anderes soll das Geld ausgegeben werden, das in einem Sondervermögen bereitgestellt wird.

Deutschland nimmt dafür Schulden auf. Das Grundgesetz muss geändert werden. Der Bundestag und der Bundesrat haben das letzte Wort. Zuvor dürfte sicher noch ausgeleuchtet werden, welche Partei sich wo durchgesetzt hat - und wo nicht. Aber entscheidend ist das Ergebnis: historisch viel Geld für die Bundeswehr. Die erforderliche Mehrheit für eine Entscheidung dieser Tragweite erscheint seit diesem Wochenende gesichert.

Drei Monate ist es her, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag angesichts des Krieges in der Ukraine eine sicherheitspolitische Zeitenwende verkündet hat. Für die Bundeswehr nimmt diese Zeitenwende nun Konturen an: Sie wird modernste Kampfflugzeuge bekommen, neue Hubschrauber, zusätzliche Panzer und mehr Schiffe. Die Bundeswehr wird nicht einfach wachsen, sie wird - wenn die Politik ernsthaft an der Modernisierung der Streitkräfte arbeitet - überhaupt erst wieder in die Lage zur Landes- und Bündnisverteidigung versetzt.

Ist das schon Aufrüstung oder nur Ausrüstung? Beides. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine hat sich in Europa die Bedrohungslage grundlegend verändert. Deutschland braucht eine funktionierende Armee, um als Partner, um als Verbündeter funktionieren zu können. Erst mit dem Krieg in der Ukraine hat die Politik sich eingestanden, wie sehr sie die Bundeswehr über so viele Jahre vernachlässigt hatte. Deutschlands Armee ist derzeit kaum in der Lage, den Nato-Partnern an der Ostflanke mit zusätzlichen Truppen und Material zur Seite zu stehen. Ein Beispiel: Nur neun von ihren 51 Kampfhubschraubern vom Typ Tiger sind einsatzbereit. Es ist bitter, wenn Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine im Wunsch nach schweren Waffen immer wieder Absagen erteilt, weil sie einräumen muss, dass die Bundeswehr selbst nicht mehr genügend davon hat.

20 Milliarden Euro wären allein schon weg für Munition

100 Milliarden Euro können am beklagenswerten Zustand der Bundeswehr einiges ändern - alle Probleme lösen werden sie nicht. Das Geld ist schnell verplant: 20 Milliarden fehlen bislang allein für Munition. Für neue Kampfjets sind um die 15 Milliarden erforderlich. Drei voll ausgestattete Heeresdivisionen würden zusammen etwa 35 Milliarden Euro kosten. Kampfdrohnen sollen beschafft und die Raketenabwehr ausgebaut werden. Ach ja, der Investitionsbedarf in den heruntergekommenen Kasernen liegt auch bei 20 Milliarden Euro. Und wenn erst mal all das neue Gerät eingetroffen ist, wird der Betrieb weitere Milliarden verschlingen.

100 Milliarden Euro - das kann nur der Anfang sein, wenn man es mit intakten Streitkräften tatsächlich ernst meint. Wie es aber weitergeht, wenn das Geld aus dem Sondervermögen in ein paar Jahren aufgebraucht ist, da bleiben Ampel und Union wolkig. Mit dieser Frage werden sich die nächsten Regierungen auseinandersetzen müssen.

Für den Moment lässt sich feststellen: Nie war die Hoffnung unter den Soldatinnen und Soldaten größer, dass sich in der Bundeswehr doch noch etwas bewegt. 100 Milliarden Euro sind nicht nur ein großes Versprechen, sondern auch eine gigantische Verpflichtung. In spätestens einem Jahr sollte kein Soldat mehr klagen müssen, dass ihm eine Schutzweste fehlt - das wäre eine gute erste Zielmarke auf dem Weg zu einer neuen Bundeswehr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5593778
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.