Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Bundeswehr im Innern: Üben für den Extremfall

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Von Christoph Hickmann, Berlin

Die Debatte war gerade wieder eingeschlafen, als Ursula von der Leyen sie mit ein paar Sätzen von Neuem belebte. Einen Tag nach der Bluttat von München sagte die christdemokratische Verteidigungsministerin, am Abend zuvor seien für den Fall der Fälle Feldjäger in Bereitschaft versetzt worden. Hätte es sich um eine terroristische Großlage gehandelt, hätten sie eingreifen können. Und schon ging der Streit um Einsätze der Bundeswehr im Innern von Neuem los - obwohl die Wortmeldung der Ministerin zunächst mehr Fragen als Antworten produzierte.

Erste Frage: Wäre ein solcher Einsatz zulässig gewesen? Antwort: Nur wenn es wirklich um eine terroristische Großlage gegangen wäre. Zweite Frage: Wie viele Feldjäger hätte man an einem Freitagabend auf die Schnelle überhaupt bereitstellen können? Hier wollte die Bundeswehr zunächst nicht mit einer Zahl herausrücken, schob dann aber nach, es habe sich um "etwa 100 Kräfte" gehandelt - ohne zu präzisieren, wie viele davon Feldjäger gewesen wären und wie viele etwa Sanitäter. Womit die dritte Frage bleibt: Was könnte die Bundeswehr in einer solchen Lage überhaupt leisten, was die Polizei nicht kann?

Bundeswehr und Polizei arbeiten heute schon zusammen: zum Schutz des Oktoberfestes

"Grundsätzlich nimmt die Bundeswehr auch im Frieden schon Einsatzaufgaben wie den Schutz von See- und Luftraum in Deutschland wahr", sagt Generalleutnant Martin Schelleis, der als Inspekteur der Streitkräftebasis für Einsätze der Truppe im Inland zuständig ist. Und darüber hin-aus? Auf Anforderung, sagt Schelleis, könne die Truppe etwa "technische Fähigkeiten wie die mobile Luftraumüberwachung in niedrigen Höhen zum Identifizieren von schnell fliegenden Luftfahrzeugen" bereitstellen. Außerdem könne sie im Fall atomarer, biologischer oder chemischer Bedrohungen beraten, "gegebenenfalls sogar unter Einsatz mobiler Laborfähigkeiten". Über so etwas verfüge die Polizei in Bund und Ländern nicht, weshalb es bereits eine "langjährige bewährte Zusammenarbeit" gebe, etwa zum Schutz des Oktoberfestes, bei Staatsbesuchen oder Veranstaltungen wie der Münchner Sicherheitskonferenz.

Und sonst? Man könne, sagt Schelleis, die Polizei darüber hinaus auch mit geschützten Fahrzeugen unterstützen. Gerade die Feldjäger nähmen außerdem in Auslandseinsätzen zum Teil Polizeiaufgaben wahr, "die sich nicht grundsätzlich von denen in Deutschland unterscheiden", so Schelleis. "Unsere Soldaten haben zudem in diversen Auslandseinsätzen umfassende Erfahrungen wie Organisation von Checkpoints, Umgang mit Sprengstoffbedrohungen oder Objektschutz gesammelt. Sie bringen Kenntnisse und Fähigkeiten ein, die bei einer Terrorlage gebraucht werden könnten", sagt der Generalleutnant.

"Terrorlage" - da ist das Stichwort. Doch was könnte in einem solchen Fall eine sinnvolle Unterstützung sein? Schelleis nennt etwa "eine Unterstützung für die Polizei im Rahmen von Evakuierungen, Absperrungen oder Schutz von für die Bevölkerung lebenswichtigen Objekten". Das komme aber nur infrage, wenn "Landes- und Bundespolizei an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen". Zu erwarten sei dies "bei extremen Katastrophen mit großflächigem Schaden und langfristigen Folgen für die Überlebensfähigkeit der Bevölkerung".

Das klingt nicht übermäßig wahrscheinlich - trotzdem soll die Zusammenarbeit zwischen Truppe und Polizei jetzt geübt werden. Zwar hat es bislang bereits Katastrophenschutzübungen gegeben, doch der gemeinsame Anti-Terror-Einsatz stand nicht auf der Tagesordnung. "Wir brauchen aber auch ein gut eingeübtes Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden für den extremen Fall einer terroristischen Großlage", sagt Schelleis. "Dafür sollen demnächst gemeinsame Übungen von Länderbehörden, Bundespolizei und Bundeswehr stattfinden." Derzeit laufe "die Entwicklung der Übungsszenare". Drei Bundesländer haben Interesse angemeldet.

Aber zurück zum konkreten Fall: Was hätte die Bundeswehr in München leisten können, was die Polizei nicht vermochte? "Die Frage muss anders herum gestellt werden", sagt Schelleis. "Was hätte durch die zuständigen Behörden gefordert werden können?" Dann zählt er auf, was die Feldjäger hätten anbieten können: "Bereitstellung von Absperrmaterial, Einsatz von Sprengstoffspürhunden, Einsatz von Bergemitteln, Brandbekämpfung, Wassertransport." Das klingt nicht so, als hätte die Polizei es nicht selbst hinbekommen, auch im Fall einer Eskalation. Schelleis sagt: "Daneben wäre natürlich bei Bedarf und auf Anforderung auch der Einsatz anderer besonderer Fähigkeiten zur Unterstützung der Polizei denkbar gewesen." Besondere Fähigkeiten? Vielleicht gepanzerte Fahrzeuge? Am Ende jedenfalls wurde die Bundeswehr in München doch nicht benötigt. Stattdessen wurde die Münchner Polizei mit Lob für ihren Einsatz überschüttet.

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SZ vom 03.08.2016
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