Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Reden kann er

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Die Stärken und die Schwächen von Peter Altmaier: auf Tour mit dem Wirtschaftsminister nach Den Haag, wo er den Ruf hat, ein Brandweerman zu sein.

Von Michael Bauchmüller, Den Haag

Peter Altmaier verschwindet im Heck des Regierungsfliegers, kurz darauf kehrt er frisch zurück. Ohne Krawatte, im Freizeithemd. Der Flieger hebt gleich ab nach Hause, der Minister strahlt. "Für diese Momente lebe ich."

Es gibt diese Momente, auch im Leben eines Politprofis: wo alle Anspannung abfällt, die ungelösten Probleme plötzlich so weit weg sind wie der Würgegriff der Krawatte. Bei Altmaier erkennt man das auch daran, dass etwas Schalkhaftes in sein Gesicht zurückkehrt. Im Berliner Alltag sieht man das selten. Aber in Den Haag.

Dort wurde er eben als "Merkels brandweerman" angekündigt, als ihr Feuerwehrmann. Keine schlechte Beschreibung, denn in Brandherde hat die Kanzlerin Altmaier immer gerne geschickt. Als Umweltminister sollte er aufkeimende Kritik an der abrupten Energiewende ersticken, als Kanzleramts-Minister machte Merkel ihn zum Flüchtlingskoordinator. Gerade versucht er als Wirtschaftsminister, für die CDU das Erbe Ludwig Erhards zu sichern; allein dadurch, dass er das Vorbild seines allerersten Amtsvorgängers in jeder Rede gefühlt ein Dutzend Mal bemüht. Und die Rede, die Sprache - das ist Altmaiers wichtigstes Löschmittel.

Die Rede in Den Haag hat ihn vorher nervös gemacht, sie soll sitzen. Stundenlang feilt er an seinen Thesen, es geht schließlich ums Grundsätzliche. Jedes Jahr veranstaltet das Politmagazin Elsevier die "Schoo-Lesung", zum Gedenken an den verstorbenen Chefredakteur. Mark Rutte, heute Ministerpräsident, hat sie schon gehalten; außerdem EU-Vizepräsident Frans Timmermans und der Binnenkommissar Frits Bolkestein. Aber noch nie ein Ausländer. Altmaier ist prädestiniert dafür, er spricht fließend Niederländisch. Die Sprache gelernt zu haben, sagt er, sei eine "Liebeserklärung" an die Niederlande. Es ist nicht die einzige, die er dem Publikum in Den Haag macht. Er nennt Deutschland ein "kleines Land" in Zeiten der Globalisierung, klein wie die Niederlande. Er hält ein Plädoyer für die Freundschaft zwischen den Völkern und auch für die zu den USA, er spricht von den "Vereinigten Staaten von Europa", als gäbe es sie längst. Er beschreibt Zuwanderung als Basis jeder Hochkultur. Altmaier macht Scherze, das Publikum lacht.

Ein "100-Tage-Gesetz" wollte er machen. Nun ist Tag 178, und es steckt fest

Als der Gast aus Duitsland nach einer knappen Stunde fertig ist, wollen viele den Theatersaal durch die erste Reihe verlassen, um Altmaier da vorne zu beglückwünschen. Er genießt es. Wie viele Berufspolitiker sucht auch er nach Anerkennung.

Die wird ihm reichlich zuteil, auch in Berlin und Brüssel. Zuletzt galt er als potenzieller Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten. Altmaier gilt als glühender Europäer, als begeisterter Makler von Interessen. Und neben Niederländisch spricht er auch fließend Französisch, Englisch sowieso. Es sind Gaben, mit denen er nicht hinter dem Berg hält; doch seit der EU-Parlamentarier Manfred Weber von der CSU seine Kandidatur bekannt gegeben hat, ist Altmaiers Perspektive geschrumpft. Der Ansager in Den Haag führt ihn als "mächtigsten Mann" in Berlin ein, was allerdings weniger über Altmaier sagt als über die restlichen Männer dort.

Das alles schmeichelt ihm, aber es gibt Schattenseiten. Während Altmaier überall viel redet und sich selber zweifellos gern reden hört, stapeln sich in seinem Büro die ungelösten Vorgänge. Mitarbeiter stöhnen über Entscheidungen, die nicht fallen. Das Problem begleitet Altmaier durch seine gesamte Zeit in den Kabinetten zwei, drei und vier Angela Merkels: Er sucht den Ausgleich, vor allem in seiner eigenen Fraktion. Harte Konflikte, strittige Entscheidungen meidet er. So bleiben viele Dinge liegen. Das erklärt, warum ein sogenanntes "100-Tage-Gesetz" zur Energiepolitik auch an diesem Samstag, dem 178. Tag seiner Amtszeit, noch feststeckt und Initiativen des Ministeriums erst mit Verspätung kommen.

In der Öffentlichkeit merkt das kaum einer, das weiß Altmaier. Registriert wird hingegen, wenn er als Brandweerman in Sachen Zölle zum US-Handelsminister reist oder wegen der umstrittenen Ostsee-Pipeline zwei Tage zwischen Kiew und Moskau pendelt. Oder wenn er dorthin reist, wo sich Leute mit neuen Stromleitungen schwer tun. Altmaier sagt: "Ein Minister muss dahin gehen, wo die Dinge im Argen liegen." Doch die hohe Kunst dieses Ministers ist vor allem die geschickte Suggestion des Handelns, weniger das Handeln an sich. Hört man ihn dagegen über sein Tun reden, über seine Arbeit in den diversen Regierungen, als Innen-Staatssekretär, als Umweltminister und Kanzleramtschef, als Ideengeber für dieses und jenes - es klingt, als habe ganz oft er die entscheidenden Fäden gezogen, den letzten Anstoß gegeben. Ob er das tatsächlich von sich glaubt? Möglich ist das.

Im kleinen Haager Theater redet Altmaier nicht von ungefähr viel über das Reden, über das Gespräch. Im Kampf gegen den Populismus in Europa müsse Politik Veränderungen erst besser verstehen und dann besser erklären, sagt Altmaier. "Ein ehrliches Gespräch ist noch immer das Beste." Und je länger Altmaier so redet, mit jedem Lacher, den er erntet, fällt Anspannung ab. Als im Foyer schließlich alle beisammenstehen, ein Bier trinken und reden, bewegt sich Altmaier wie ein Fisch im Wasser. Viel freier als sonst in Berlin. Spät nachts kehrt Altmaier nach Berlin zurück, im Freizeithemd steht er auf dem Rollfeld. Sein Fahrer ist noch nicht da, ein dummes Missverständnis. Altmaier atmet tief durch, er muss warten. Und wirkt mit einem Mal sehr, sehr erschöpft.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2018
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