Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident:Wulff plant große Rede bei Gedenkfeier für Neonazi-Opfer

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In Berlin soll der Opfer der rechtsextremistischen Mordserie gedacht werden. Für Christian Wulff ist die Feier am 23. Februar eine heikle Veranstaltung: Es ist der erste große Auftritt seit dem Affären-Interview im Fernsehen. Viele Parlamentarier werden dem Termin fernbleiben - was angeblich nichts mit dem Bundespräsidenten zu tun hat.

Susanne Höll, Berlin

Der Gendarmenmarkt im Herzen Berlins wird in einer Woche von der Polizei abgeriegelt sein. Im Konzerthaus auf dem historischen Platz findet am Vormittag des 23. Februar die Gedenkfeier für die Opfer der jahrelang unentdeckten rechtsextremistischen Mordserie statt. Zu der Gedenkfeier hat Bundespräsident Christian Wulff eingeladen.

Angehörige der zehn Ermordeten werden erwartet, Abgesandte von Bundesregierung, Bundestag, dem Bundesverfassungsgericht, dem diplomatischen Corps, vielen Organisationen, darunter auch Ausländervereinen. Etwa 1400 Teilnehmer werden zu der zeitweise umstrittenen Zeremonie erwartet, die für die Organisatoren bis hin zum Präsidenten in mehrfacher Hinsicht eine ziemlich große Herausforderung ist.

Denn für eine solche Gedenkfeier gibt es in Deutschland kein Vorbild. Die Spitzen von Politik und Gesellschaft wollen zehn Tote ehren, deren wahres Schicksal die deutschen Behörden zunächst sträflich verkannt hatten. Eine ganze Dekade lang wurden die Morde an neun Gewerbetreibenden, deren Familien aus der Türkei und Griechenland stammen, sowie einer deutschen Polizistin als Milieumorde bewertet, verzweifelte Angehörige der Geschäftsleute wurden verdächtigt, womöglich selbst in krumme Geschäfte verwickelt gewesen zu sein. Der deutsche Staat muss bei dieser Gedenkstunde ebenso viel Versagen bekunden wie Scham.

Diese Aufgabe obliegt dem Bundespräsidenten. Wulff wird der einzige Redner aus der deutschen Politik sein. Für ihn wird dieser erste große Auftritt in der Heimat seit dem Affären-Interview im Fernsehen bedeutsam sein. Schließlich will und muss er wieder an Ansehen gewinnen. Zwanzig Minuten lang soll er im Konzerthaus sprechen - jeder seiner Sätze wird penibel gewogen werden.

Nicht nur im Blick auf die Toten und deren Familien, sondern auch auf die Diskussion über seine eigene Person. Die Familien der Opfer kommen ebenfalls zu Wort. Eine Verwandte des Schneiders Abdurrahim Özüdogru, der 2001 in Nürnberg mit zwei Kopfschüssen ermordet wurde, soll ans Pult treten. Einige andere Angehörige, so heißt es, wollten nicht teilnehmen.

Auf religiöse Elemente wird bei der Feier verzichtet. Zwölf Schüler sollen eingangs Kerzen durch den Saal tragen: Zehn für die Toten, eine für andere Opfer von Neonazis, eine als Zeichen der Hoffnung. Schauspieler wie Iris Berben und der aus der Türkei stammende Erol Sander werden kurze Texte vortragen. Auch die Musik trägt der familiären Herkunft der Toten Rechnung.

Gespielt wird ein Largo von Johann Sebastian Bach und ein Stück des türkischen Komponisten Cemal Resit Rey. Der als Mousse T. bekannte Musiker Mustafa Gündogdu, in Hagen geborener Sohn eines türkischen Arztes, soll dann das Lied "Imagine" von John Lennon sowie den Sting-Song "Fragile" vortragen.

Bei der Vorbereitung der Gedenkfeier hatte es einige Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidialamt und der Bundestagsverwaltung gegeben. Mutmaßungen, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) der Zeremonie fernbleibt, sind aber Unsinn. Lammert kommt, wie Kanzlerin Merkel und andere Vertreter der Verfassungsorgane auch.

Ein Großteil von Lammerts Kollegen dürfte aber fehlen. Mit Wulff habe das freilich nichts zu tun, heißt es in den Fraktionen. Sondern mit dem Datum. Es sei keine Sitzungswoche, zudem finde die Zeremonie am Tag nach Aschermittwoch statt, an dem viele Parlamentarier politische Verpflichtungen hätten.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2012
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