Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident:Gelassenheit tut dem Land gut

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Steinmeier weiß, dass Politik selten aus Durchbrüchen, sondern aus mühsam errungenen, kleinen Fortschritten besteht. Das macht sich bemerkbar in dem Stoizismus, mit dem er für die Demokratie wirbt.

Kommentar von Nico Fried

Zweifellos versinnbildlicht die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten die begrenzte Wirkkraft seines Amtes. Der Auftritt findet in der Regel keine allzu große Beachtung, aber nach den vielen Jahren seit Gustav Heinemanns erster Weihnachtsansprache 1970 würde etwas fehlen, wenn man darauf verzichtete. Allerdings wäre der Schluss wiederum zu simpel, dass es sich so wie mit der Weihnachtsansprache doch eigentlich mit dem Amt des Bundespräsidenten als Ganzes verhält. Und dazu hat Frank-Walter Steinmeier einiges beigetragen.

Das Amt des Bundespräsidenten hatte unter Horst Köhler und Christian Wulff Schaden genommen. Joachim Gauck gab ihm die Würde zurück, Steinmeier geradezu einen neuen Sinn. Indem er die Demokratie zu dem Thema machte, das er mit besonderer Beharrlichkeit bearbeitet, hat er nicht nur politische Klugheit bewiesen. Steinmeier widerlegte auch ein über die Jahre angeschwollenes Vorurteil, dass aktive Politiker nicht mehr Bundespräsident werden sollten, wohinter sich stets der gefährliche Irrtum verschanzte, die Anerkennung für das Amt könne nur durch seine Entpolitisierung gerettet werden.

Steinmeier und das Thema Demokratie, das war sogleich ein Verhältnis von gegenseitiger Anziehungskraft: Kaum im Amt, musste er nach der Bundestagswahl und dem Scheitern einer Jamaika-Koalition dem Respekt vor dem Wahlergebnis Geltung verschaffen. Ohne den Präsidenten hätte es eine Regierungsbildung nicht gegeben. Das war ein Dienst an der Demokratie, den auch Unzulänglichkeiten der Großkoalitionäre nicht trüben können. Standesbeamte sind schließlich auch nicht schuld an verkrachten Ehen.

Steinmeier mag sich danach kurzzeitig als letztinstanzlicher Versöhner in allen Lebenslagen gesehen haben, eine Rolle, in der er mit der Einmischung in den Fall des Fußballers und Erdoğan-Freundes Mesut Özil an seine Grenzen stieß. Das damit verbundene Anliegen, Identitätsfragen einer heterogener gewordenen Gesellschaft zu diskutieren, hat er aber in auffallend vielen Reden weiterverfolgt. Es findet sich nun auch in der Weihnachtsansprache.

Steinmeier hat einen Akzent seines Amtes dezent verschoben

Kontinuierlich, ja unerbittlich konfrontiert Steinmeier seine Zuhörer mit der Tradiertheit mancher Klischees ethnischer oder kultureller Abgrenzung. Das Bio-Deutsche als Identitätsprinzip hat er explizit verworfen, genauso fordert er von Zuwanderern ihren Beitrag zu einem gedeihlichen Miteinander. Steinmeier hat einen Akzent seines Amtes dezent verschoben, indem er sich nicht mehr als Präsident aller Deutschen versteht, sondern als Präsident aller, die in Deutschland leben.

Es war anfangs schwer vorstellbar, wie ein mit den Details so vieler Krisen befasster Außenminister in das Amt für die langen Linien finden würde. Doch Steinmeier hat inzwischen nicht nur bemerkenswerte Reden gehalten, zuletzt zum 100. Jahrestag der Republikgründung. Er hat seine Erfahrung aus der Zeit als Außenminister im neuen Amt für sich nutzbar gemacht: Er weiß, dass Politik selten aus Durchbrüchen, sondern aus mühsam errungenen, kleinen Fortschritten besteht.

Das macht sich bemerkbar in dem Stoizismus, mit dem er für die Demokratie wirbt, aber auch in der Souveränität, die er ausstrahlt. Steinmeier, der früher schnell beleidigt sein konnte, wenn er sein Wirken ungenügend gewürdigt empfand, tut die Gelassenheit gut. Und dem Land auch.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018
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