Süddeutsche Zeitung

Bundesnachrichtendienst:Sammeln mit Grenzen

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Es kann Leben kosten, wenn der BND Grundrechte verletzt - überall auf der Welt. Deshalb müssen deutsche Standards auch für elektronische Meldungen gelten, die im Ausland abgefangen werden.

Von Wolfgang Janisch

Irgendwann fiel der Begriff "Grundrechte-Imperialismus", und natürlich war klar, was er den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts signalisieren sollte. Falls sie - wie es sich in der Anhörung in Karlsruhe abzeichnete - die "strategische Aufklärung" des Bundesnachrichtendienstes auch dort dem Grundgesetz unterwerfen würden, wo lediglich die Kommunikation zwischen Ausländern im Ausland betroffen sei, dann sei das doch nur eine Coverversion des alten Schlagers "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen". Die Deutschen, war die Botschaft des BND, sollten die Welt doch bitte nicht mit ihrer moralischen Überlegenheit behelligen. Das Grundgesetz ende dort, wo einst Zollbeamte standen.

Das Argument könnte kaum weiter neben der Sache liegen. Schon semantisch lässt sich nicht erkennen, was genau imperialistisch daran sein könnte, wenn der Schutz ausländischer Bürger vor der Neugier deutscher Behörden gestärkt wird. Kein Gesetzgeber eines Landes wird damit zur Hebung des Grundrechte-Niveaus gezwungen, kein fremder Nachrichtendienst zur Selbstbeschränkung angehalten. Wie weit das Grundgesetz reicht, ist eine Sache zwischen dem BND, dem Bundestag und dem Verfassungsgericht.

Nein, es ist kein Imperialismus, den das Verfassungsgericht betreibt. Es wäre vielmehr ein dringend notwendiges rechtsstaatliches Update, sollte es die Geltung des Grundgesetzes auch auf die zahllosen vom BND abgefangenen elektronischen Meldungen anwenden, die zwischen Syrern, Libyern oder Iranern ausgetauscht werden. Artikel 10 des Grundgesetzes spricht ja noch vom Fernmeldegeheimnis, das klingt nach Bakelit-Telefonen und nach dem Fräulein vom Amt. In einer Welt der globalen und digitalen Kommunikation ist die Bedrohung der Grundrechte aber nicht mehr an Orte gebunden, sie macht nicht vor Schlagbäumen halt. Die Bedrohung ist übrigens sehr real. Am Ende irgendeiner Informationskette könnte jemand den Startknopf einer Kampfdrohne drücken. Die Journalisten, die in Karlsruhe geklagt haben, kommen aus teilweise unsicheren Staaten, da kann eine vertrauliche Information in den falschen Händen existenzbedrohend sein.

Dass Karlsruhe hier gefragt ist, macht zudem das erfrischend offene Bekenntnis des BND-Präsidenten Bruno Kahl deutlich. Brisante Informationen werden an einer Art internationaler Tauschbörse der Nachrichtendienste gehandelt, erläuterte er den Richtern. Und nur wer gutes Material habe, werde dort seinerseits wichtige Informationen eintauschen können. Mit anderen Worten: Die Logik des Sammelns drängt zur Maßlosigkeit. Das schreit nach rechtsstaatlichen Grenzen.

Diese Grenzen, auch das wurde in der Verhandlung deutlich, werden den BND nicht zerstören. Eine erfreuliche Erkenntnis des Verfahrens war, dass der BND durchaus Problembewusstsein hat und von sich aus ein paar Vorkehrungen gegen das Eindringen in geschützte Sphären getroffen hat. Karlsruhe wird wohl auf eine schärfere Eingrenzung seiner Befugnisse dringen und der rechtsstaatlichen Kontrolle - derzeit in Händen eines unabhängigen Gremiums - zu mehr Wirksamkeit verhelfen. Aber die Richter werden die strategische Aufklärung nicht abschalten. Sie wissen, dass eine Bundesregierung Informationen benötigt, um außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähig zu bleiben. Auch dies gehört zu den Lehren der digitalen Informationswelt.

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SZ vom 16.01.2020
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