Süddeutsche Zeitung

Bürgerrechtler und der Verfassungsschutz:Vierzig Jahre Beobachtung

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Er war der Exponent einer Szene linker Juristen, hinterfragte den Sicherheitsstaat, prangerte Polizeipraktiken an. Jetzt hat ein Gericht festgestellt, dass die jahrelange Beobachtung des Bürgerrechtlers Rolf Gössner rechtswidrig war.

Wolfgang Janisch

Die Kritik an staatlicher Überwachung gehört zu seinen Lebensthemen - das ist die Pointe des juristischen Erfolgs, den der Bürgerrechtler Rolf Gössner vor dem Verwaltungsgericht Köln erzielt hat. Das Gericht hat festgestellt, dass die fast vier Jahrzehnte währende Beobachtung des Publizisten und Rechtsanwalts durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war. Noch ist der Spruch nicht rechtskräftig und ohne Begründung, aber er wirft ein Schlaglicht auf eine bizarre Episode geheimdienstlicher Praktiken.

Der 62-jährige Gössner ist ein aktiver Exponent einer Szene linker Juristen. Seine Publikationen hinterfragen den Sicherheitsstaat, warnen vor der Erosion der Bürgerrechte, prangern Polizeipraktiken an, geißeln Berufsverbote. Im Habitus gilt er als zurückhaltend; seine Schriften sind zwar pointiert kritisch, aber argumentativ gehalten. In der Bürgerrechtsszene hat er es weit gebracht: Er ist stellvertretendes Mitglied des Bremischen Verfassungsgerichtshofs, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Reports" - der bisweilen von den einstigen Verfassungsrichtern Jutta Limbach und Jürgen Kühling präsentiert worden ist.

Ins Visier des Verfassungsschutzes geriet er seinem Anwalt Udo Kauß zufolge 1970, als er auf der Liste des Sozialistischen Hochschulbundes kandidierte. Zuletzt warf man ihm mangelnde Distanz zu den Verbrechen der kommunistischen Regime vor - und diffamierende Kritik der bundesdeutschen Sicherheitspolitik. 2008 wurde die "fürsorgliche Belagerung" beendet - das Böll-Wort gebraucht Gössner selbst. Da war seine nunmehr entschiedene Klage bereits anhängig. Immerhin habe das Amt versichert, Gössner sei nicht mit "nachrichtlichen Mitteln" - vulgo: Wanzen - überwacht worden.

Kurios ist, dass nach den Worten von Kauß in den Akten des Verfassungsschutzes nicht davon die Rede ist, dass Gössner wegen linksextremistischer Inhalte seiner Schriften beobachtet worden sei. Jedenfalls, soweit die Akten lesbar waren - 80 Prozent der 2000 Seiten seien vor der Herausgabe geschwärzt worden. Anlass der Beobachtung seien Gössners Kontakte zum linksextremistischen Spektrum gewesen, etwa zur DKP, zur "Roten Hilfe" oder zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dass Gössner dort nicht Mitglied gewesen sei, habe ihn aus Sicht des Bundesamts nur noch verdächtiger gemacht. "Dabei agiert er ganz bewusst nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation" - um seine Glaubwürdigkeit als "vermeintlich unabhängiger Experte" zu wahren, zitiert Gössner das Bundesamt.

Seine Schlussfolgerung: "Nicht was ich sagte oder schrieb, war für die Beobachtung entscheidend, sondern in welchem politischen Umfeld dies geschah."

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Quelle:
SZ vom 05.02.2011
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