Süddeutsche Zeitung

Syrien:Eine Brücke von Moskau nach Genf

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Nach dem russisch-türkischen Abkommen zu Idlib sieht der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura eine Chance, den syrischen Friedensprozess wieder zu beleben.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Staffan de Mistura dient dem UN-Generalsekretär seit Juli 2014 als Sondergesandter für Syrien - eine Achterbahn-fahrt, wie der 71-jährige Diplomat vor dem UN-Sicherheitsrat gerade sagte. Dort kündigte er auch an, nach dem Idlib-Deal zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen türkischem Kollegen Recep Tayyip Erdoğan den Friedensprozess wieder beleben zu wollen. Während an der Rebellen-Hochburg die Truppen des Regimes von Baschar al-Assad aufmarschierten und sich international die Drohungen verschärften, setzte de Mistura in Genf still die mühsamen Beratungen fort: mit Russland, Iran, der Türkei, westlichen Regierungen und den Golfstaaten, mit Vertretern der syrischen Kriegsparteien.

Einige Zeit dienten die Treffen in Genf vor allem dazu, den Prozess unter Ägide der Vereinten Nationen am Leben zu halten. Die Entscheidungen fielen im Astana-Format, dem Triumvirat aus Russland, Türkei und Iran. Doch nun, so hoffen Mistura und einige westliche Regierungen, könnte es Fortschritte geben. Nach dieser Lesart, die hohe Regierungsvertreter immer mit einer Reihe von Vorbehalten versehen, könnte die Vereinbarung von Sotschi der Anfang vom Ende des Krieges in Syrien sein, den Wendepunkt bilden hin zur Suche nach einer Nachkriegsordnung.

Moskau rechnet schon vor, wie viele Flüge nötig wären, um alle Syrer zurück zu bringen

Putin sagte nach seinem Treffen mit Erdoğan, man sei sich einig, dass die Umsetzung der Vereinbarung über eine demilitarisierte Zone dem Friedensprozess einen Schub geben werde, und er nannte mehrmals explizit Genf, also den von den UN vermittelten Prozess. Kein westlicher Regierungsvertreter würde alleine darauf seine Einschätzung stützen. Sie verweisen darauf, dass russische Emissäre von Außenminister Sergej Lawrow bis hin zum Präsidenten seit Monaten versuchen, in Europa Unterstützung für den Wiederaufbau Syriens zu erhalten; auch die Golfstaaten sollen sich beteiligen. Russland und Iran, Assads wichtigste Unterstützer, die zusammen mit dem Regime maßgeblich für die Zerstörung verantwortlich sind, können die nötigen Milliarden nicht aufbringen, China ist nur zu begrenzten Investitionen bereit.

Moskau wirbt mit Lockungen und Drohungen. Im Juni schon hatte Russland "Vorschläge zur Verteilung von Flüchtlingen und zeitweise vertriebenen Personen auf dem Territorium der Syrischen Arabischen Republik" lanciert. In der Präsentation mit der Silhouette des Verteidigungsministeriums in Moskau wird vorgerechnet, wie viele Flüge oder Schiffe nötig wären, um alle Syrer zurück in ihre Heimat zu bringen, mögliche Standorte für Checkpoints an den Landgrenzen und die Verteilung der Menschen über die Regionen gezeigt.

Große Fragen sind noch zu klären, und wie de Mistura bemerkte: "Der Teufel steckt im Detail!"

Die Botschaft: Wenn ihr eine politische Lösung nach unseren Vorstellungen mittragt, euch an Stabilisierung und Wiederaufbau beteiligt, ist das in eurem Interesse. Natürlich weiß Moskau, unter welchem Druck vor allem Kanzlerin Angela Merkel steht. Putin drohte denn auch bei seinem Treffen mit Merkel in Meseberg Mitte August unverhohlen mit einem neuen Flüchtlingsansturm, sollte Europa nicht dazu beitragen, Syriens Infrastruktur zu sanieren.

Deutschland und andere wichtige europäische Staaten stellen Bedingungen: In Idlib dürfe es kein Massaker geben - da hat Putin vorerst eingelenkt. Unklar ist, wie viel Drohungen aus Washington dazu beigetragen haben und wie stark ernsthaftes Interesse an einer Lösung ihn bewog - Assad, das scheint klar zu sein, wird nicht mehr stürzen. Zudem, so fordern die Europäer, müsse die Sicherheit von Rückkehrern garantiert sein. Da sind die Erfahrungen schlecht; etliche wurden inhaftiert, Rebellen, die Versöhnungsvereinbarungen mit dem Regime eingingen, wurden getötet - angeblich bei Unfällen. Auch müsse Assad das umstrittene Dekret aufheben, das dem Regime Enteignungen im großen Stil in zerstörten Gebieten ermöglicht. Und nicht zuletzt brauche es einen "glaubhaften politischen Übergang", was die Frage nach Assads Zukunft beinhaltet - da könnte in Genf jetzt Bewegung entstehen.

De Mistura knüpft an den "Kongress des syrischen Volkes" an, den Moskau im Februar ausgerichtet hat. Ein Komitee soll eine neue Verfassung schreiben, Regime und Opposition stellen je ein Drittel der Delegierten, der Rest soll - politisch ausgewogen - aus Experten der Zivilgesellschaft bestehen. De Mistura baut Putin eine Brücke nach Genf. Moskau sucht Legitimität, die UN sollen zumindest eine Fassade bieten.

Manche Diplomaten deuten den Idlib-Deal als Beleg, dass Putin die strategischen Beziehungen zur Türkei über Assads Wünsche stellt. Er sprach in Sotschi lange über eine enge Kooperation in Wirtschafts- und Energiefragen, bevor er auf Syrien kam. Auch in Syrien gibt es gemeinsame Interesse: Erdoğan hofft auf Hilfe bei der Eindämmung der von den USA unterstützten Kurden im Norden und Osten, die ein Viertel Syrienskontrollieren. Russland will die Nato-Führungsmacht aus dem Land drängen, die dort etwa 2500 Soldaten stationiert hat.

Das alles sind große Fragen, und wie de Mistura bemerkte: "Der Teufel liegt im Detail!" Bislang konnte er den Konfliktparteien nicht einmal eine Einigung auf die 50 Experten aus der Zivilgesellschaft abringen; die Voraussetzung, damit das Verfassungskomitee seine Arbeit aufnehmen könnte.

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SZ vom 20.09.2018
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