Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Vier Schüsse, die nachhallen

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Zehntausende protestieren nach dem Mord an einer Stadträtin von Rio de Janeiro, die Polizeigewalt in Armenvierteln angeprangert hatte.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Einer der letzten öffentlichen Sätze von Rios Stadträtin Marielle Franco, 38, war: "Wie viele müssen noch sterben, bis dieser Krieg endet?" Einen Tag später war sie selbst tot. Hingerichtet mit vier Schüssen aus kurzer Distanz, mitten im Zentrum von Rio. Die Lokalpolitikerin Franco von der linken Partei PSOL hatte am Mittwochabend im Ausgehviertel Lapa an einer Debatte teilgenommen, in der es um die Rechte schwarzer Frauen ging. Sie selbst war eine der wenigen afrobrasilianischen Politikerinnen in einem mehrheitlich dunkelhäutigen Land, Vorkämpferin gegen die alltägliche Diskriminierung von Frauen, Schwarzen, Armen und Homosexuellen. Sie wollte Brasilien verändern. Das hat sie vermutlich das Leben gekostet.

Nach bisherigem Ermittlungstand haben die Mörder Francos Auto in der Nacht zum Mittwoch über vier Kilometer verfolgt, ehe sie es in einer dunklen Straße stoppten und mit 13 Schüssen durchsiebten. Auch Francos Fahrer starb. Es gibt noch keine Spur von den Tätern, aber auch keinerlei Anzeichen für einen Raubüberfall. Die Ermittler und vor allem große Teile der schockierten Öffentlichkeit gehen von einem politischen Attentat aus.

Im Großraum Rio wurden im vergangenen Jahr 6500 Menschen ermordet, die Leute sind einiges gewohnt in Sachen Gewalt. Aber der Fall Franco schlägt nun beispiellose Wellen. Am Donnerstag gab es Proteste im ganzen Land, Zehntausende versammelten sich im Zentrum von Rio und auf der Avenida Paulista in São Paulo. Allenthalben war die Rede von einem "Anschlag auf die Demokratie".

Marielle Franco stammte aus Rios größtem Favela-Komplex Maré. 2016 wurde sie als erste schwarze Frau ins Stadtparlament gewählt. Ihre 19-jährige Tochter teilte nun via Facebook mit: "Sie haben meine Mutter und 46 000 Wähler ermordet." Die Menschenrechtsaktivistin Franco hatte zuletzt vor allem die ausufernde Polizeigewalt sowie die Militärintervention in Rios Favelas scharf kritisiert. Vor wenigen Tagen publizierte sie einen Text, in dem sie das 41. Bataillon der Militärpolizei (PM) für Morde an drei Jugendlichen in den Favelas Acari und Jacarezinho verantwortlich machte. Die PM gilt als durch und durch korrupt, viele Polizisten haben sich mit rechten Milizen verbündet und treten in den vom Drogenkrieg geplagten Armenvierteln nicht als Hüter des Rechtsstaates auf, sondern als weitere Kriegspartei. Vor vier Wochen hatte Staatspräsident Michel Temer deshalb die gesamte öffentliche Sicherheit in Rio unter das Kommando des Armeegenerals Walter Braga Netto gestellt, mit dem erklärten Ziel, die "Polizei zu säubern". Franco vertrat lautstark die Ansicht, dass damit alles nur noch schlimmer werde. Statt an Soldaten, die vor allem zum Schießen ausgebildet seien, fehle es in den dicht besiedelten Favelas an Bildungschancen und Rechtssicherheit.

Marielle Franco kritisierte die Militärpolizei. Viele vermuten ihre Mörder in deren Reihen

Am Dienstag hatte Braga Netto Ermittlungen gegen das von Franco explizit beschuldigte 41. Bataillon angekündigt. Viele Brasilianer gehen deshalb davon aus, dass sie von Mitgliedern dieser Polizeieinheit hingerichtet wurde. Raul Jungmann, der Minister für Innere Sicherheit, sagte, es werde in alle Richtungen ermittelt. Präsident Temer versprach, diese "extrem feige Tat" werde schonungslos aufgeklärt. Die Straßenproteste vom Donnerstag richteten sich aber nicht zuletzt gegen Temers höchst umstrittene Sicherheitspolitik.

Zugleich war in dem extrem gespaltenen Land eine seltene Solidarität zu spüren. Falls es den Mördern darum ging, Marielle Franco zum Schweigen zu bringen, haben sie eher das Gegenteil erreicht. Sie wurde über Nacht zur landesweit bekannten Symbolfigur. "Eine Frau ist tot. Ihr Kampf für Gerechtigkeit und Gleichheit lebt", kündigte die Oberste Bundesrichterin Cármen Lúcia an.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2018
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