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Brandenburg: Landtagswahl:Platzeck kennt keine "Jammer-Ossis"

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SPD-Ministerpräsident Platzeck erhält im Brandenburger Landtagswahlkampf viel Zuspruch - er stört sich, wie die ostdeutsche Elite ausgetauscht wurde. Offen ist jedoch, mit wem er künftig regieren wird. Die Linke findet er auch nicht schlimmer als den Noch-Partner CDU.

Constanze von Bullion

Den Wahlkampf des Matthias Platzeck muss man sich vorstellen wie eine Wellnesskur der besonders angenehmen Art.

Da gibt es viel Schulterklopfen und Schauer warmer Worte, Streicheleinheiten für Enttäuschte, Herzmassagen für Gestrauchelte und eine Medizin, die Stolz heißt und die Seele wärmt. Wenn auch nur die ostdeutsche Seele.

Ein Spätsommerabend in Cottbus. In Brandenburg geht der Landtagswahlkampf auf die Zielgerade, und vor einem Kunststoffkubus von Stadthalle gucken die Menschen hoch zu einem Mann, der auf der Bühne die Arme hochreißt.

"Hier gibt es keine Jammer-Ossis!"

"Wir sind wir!", ruft er, oder: "Hier gibt es keine Jammer-Ossis!". Matthias Platzeck ist eigentlich kein Schreihals, aber jetzt brüllt er, dass die Ostdeutschen stolz sein sollen, dass sie sich rausgearbeitet haben "aus diesem tiefen Loch" und der Westen das endlich sehen muss. "Wir haben 40 Jahre DDR und Honecker überstanden", wird er am Ende rufen, "dafür war mehr Sitte und Anstand nötig als in bequemeren Gegenden Deutschlands."

Kopf hoch, Brust raus und Haltung zeigen vorm Westen, das ist die Botschaft des Matthias Platzeck. Sieben Jahre ist er jetzt Ministerpräsident von Brandenburg, und weil dieser ostdeutsche Ausnahmesozi am Sonntag wiedergewählt werden will, kämpft er bis an die Grenzen der Körperkräfte.

Homo sympathicus

Platzeck ist so ein Typ, der mit 55 Jahren noch eine Figur hat wie ein Oberschüler, dazu ein Jungengesicht, in dem es oft kumpelhaft zwinkert. Er schafft es, große Plätze schnell mit Wärme zu füllen, ebenso schnell aber kühlt er ab, wenn er verstimmt ist. Dass er irgendwie angreifbar wirkt und ehrlich, also nicht wie ein Politiker, das mögen seine Brandenburger an ihm, und wenn man den Demoskopen glauben darf, wird dieser Homo sympathicus auch nach dem 27. September wieder regieren. Fragt sich nur, mit wem.

Platzeck hält sich sowohl ein rot-schwarzes als auch ein rot-rotes Bündnis offen, aber wenn er irgend kann, wird er die große Koalition wohl fortsetzen. In der Haushalts- und Finanzpolitik sind SPD und CDU sich zumindest im Groben einig, auch bei der Energiepolitik hat die Koalition geräuschlos funktioniert. Es gibt zwar Streit über den gesetzlichen Mindestlohn und das Thema Bildung, aber der ließe sich wohl ausräumen.

Das Problem, das Platzeck mit der CDU hat, ist ein anderes, persönliches. Die Brandenburger CDU hat sich als Intrigantenstadl bundesweit einen Namen gemacht.

Landeschefin Johanna Wanka ist es zwar gelungen, sich Respekt zu verschaffen und ihrem zerstrittenen Laden zumindest den Anschein von Ruhe zu geben. Auch den Quertreiber und Innenexperten Sven Petke hat sie aus dem Sichtfeld geräumt. In Umfragen aber lag die CDU zuletzt - trotz Merkel-Bonus in der Mark - nur bei 21 Prozent. Die FDP jagt ihr Stimmen ab und kommt wohl in den Landtag. Rutscht die CDU unter 20 Prozent, könnte es knapp werden für Rot-Schwarz, und der Stuhl von CDU-Chefin Wanka könnte wackeln.

Für Platzeck ist die Personallage bei der CDU also unübersichtlich, außerdem steht dort ein Generationswechsel an. Innenminister Jörg Schönbohm hört auf, auch Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns dürfte gehen. Beide sind Vertrauensleute von Platzeck. Mit dem Trickser Petke wiederum will dieser nicht am Kabinettstisch sitzen. Öffentlich sagt Platzeck dazu nur, dass er keine "schleswig-holsteinischen Verhältnisse" möchte, also eine Regierung, in der die Leute einander "nicht riechen" können.

"Die Linken sind übel populistisch"

In der CDU wird man am Ende wohl mehr am Regieren als an der Causa Petke interessiert sein. Schließlich wird Platzeck auch von der Linken umworben, und ideologische Vorbehalte hat er da eher wenig. Sein SPD-Finanzminister Rainer Speer, der zweite Mann im Kabinett, beurteilt eine Koalition mit der Linken ähnlich nüchtern."Die Linken sind übel populistisch", sagt er.

"Aber wenn ich mit denen zusammenarbeiten muss, ist das auch nicht schlimmer als mit der CDU." Speer ist, so rein figürlich, der Joschka Fischer der Regierung, er gibt auch gern den Rüpel im Parlament, und wenn Platzeck in zwei Jahren nicht mehr mag, wird Speer wohl Regierungschef werden.

Bis dahin allerdings will das Duo Platzeck-Speer noch ein paar Hühner rupfen, auch mit den Westdeutschen. Speer, der in der DDR nicht studieren durfte, weil er aneckte, hat es satt, dass Leute von der Linkspartei per se als Bösewichte der Geschichte gelten, während die Blockflöten von der CDU "mit ihrer halbseidenen Arsch-an-die-Wand-Mentalität", wie er das nennt, als Ehrenleute dastehen.

Und Platzeck, auch er ein Nischenmensch der DDR, redet lieber über die Konflikte, die er mit der Linken in Sachen Braunkohle oder Haushalt hat. "Das Denken, dass man Geld beschließen kann, ist noch immer weit verbreitet." Fragt man ihn, ob die Stasi-Vergangenheit der linken Spitzenkandidatin Kerstin Kaiser ihn nicht stört, wird er ärgerlich.

Platzeck: mehr Mut

In Brandenburg sei es gelungen, die Arbeitslosigkeit von 18 auf gut zwölf Prozent zu drücken, die Wirtschaft sei auch in der Krise nicht eingebrochen, jedenfalls noch nicht. Neulich wurde hier Deutschlands größte Fotovoltaikanlage eingeweiht, und was schreiben die Zeitungen?, fragt Platzeck: "Stasi. Stasi, Stasi. Den Leuten hängt es zum Hals heraus."

Natürlich seien politische Biographien ein Thema, sagt Platzeck. "Ich halte es nach wie vor für ein Unding, Freunde oder Kollegen zu bespitzeln." Aber auch Stasi-Leute müssten eine Chance auf Resozialisierung kriegen. "Man muss sich angucken, was in den Jahrzehnten danach passiert ist, wie sich die Betroffenen in die Demokratie eingebracht haben."

Kerstin Kaiser habe sich mit ihrer Biographie auseinandergesetzt, andere täten das weniger, sicherlich. Die Selbstgewissheit mancher Westler aber bringt Platzeck auf, auch die seines Innenministers Schönbohm, der neulich mal wieder den Werteverfall im Osten monierte und einen Aufbruch wie 1968 anmahnte.

"1968", schnaubt Platzeck, er ist jetzt voll in Fahrt, "ich bin da inzwischen richtig abgepiekt." 1968 war der Aufstand gegen braune Eliten, aber im Osten sind die Eliten ausgetauscht, sagt er. "Wir haben in Brandenburg keinen ostdeutschen Unipräsidenten, keinen ostdeutschen Gerichtspräsidenten und kaum einen ostdeutschen Sparkassendirektor."

Dieses Herumgehacke auf den Ossis entfremde sie der Demokratie, stattdessen müsse man ihnen Mut machen. "Wenn wir zulassen, dass die Menschen immer in dieser gebückten Haltung daherkommen, weil sie sich ihrer selbst nicht sicher sind, wird die deutsche Einheit nicht in den Herzen und Seelen ankommen."

Platzeck muss jetzt los, zum nächsten Marktplatz. Wenn er geredet hat, werden die Leute sagen, dass er einer von ihnen ist.

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SZ vom 22.9.2009
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