Süddeutsche Zeitung

Berlin:Unbelasteter Name gesucht

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Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen die Mohrenstraße umbenennen - doch die Umtaufung erweist sich als heikel.

Von Jan Heidtmann

Nach der "Mohrenstraße" in Berlin soll nun auch die "Onkel-Tom-Straße" umbenannt werden. Der Profi-Basketballer Moses Pölking hatte am vergangenen Dienstag eine entsprechende Petition auf der Plattform change.org gestartet. Bislang haben weit über 1000 Menschen unterzeichnet. "Die Onkel-Tom-Straße in Berlin und die dazugehörige U-Bahn-Station sind schmerzhafter Bestandteil meines täglichen Lebens", schreibt Pölking auf Instagram. "Jedes Mal, wenn ich diese Straße entlang fahre, muss ich daran denken, wie entmenschlichend und verletzend der Begriff ist."

Der Name Onkel Tom geht auf einen Roman der US-amerikanischen Autorin Harriet Beecher Stowe von 1852 zurück, der von dem brutalen Schicksal der Sklaven in den Vereinigten Staaten handelt. Onkel Tom dient sich darin seinen weißen Herren besonders an und erhofft sich dadurch Vorteile. Das Werk Beechers gilt als eine der populärsten kritischen Auseinandersetzungen mit der Sklaverei, die Auflage lag bei einer Million. Dennoch heißt es in der Petition "Die Straße Onkel-Tom-Straße bzw. die U-Bahn Station Onkel-Toms-Hütte ist so beleidigend wie die Mohrenstraße".

Pölking knüpft damit an die Debatte um den U-Bahnhof Mohrenstraße an, der die Berliner und ihre Politiker seit fast einem Monat beschäftigt und auch über die Hauptstadt hinaus für Aufsehen sorgt: Die britische Tageszeitung Guardian berichtete über den Schildersturm und auch in Köln wird nun nach einem neuen Namen für die dortige Mohrenstraße gesucht. Doch die vergangene Woche zeigte auch, wie weit "gut gemeint" und "gut gemacht" tatsächlich auseinander liegen können.

Mehrere Initiativen wie "Berlin Postkolonial" fordern seit Langem, der Mohrenstraße einen anderen Namen zu geben. Der Mord an dem schwarzen US-Amerikaner George Floyd durch einen Polizisten und die Demonstrationen gegen Rassismus haben die Debatte wieder befeuert. Anfang Juli preschten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) vor und verkündeten, dass der U-Bahnhof Mohrenstraße in Glinkastraße umbenannt werden solle. Die Straße liegt nahe der Station im Stadtteil Mitte und ehrt den Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka, der im 19. Jahrhundert die klassische Musik in Russland begründet hat. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen lobte den Vorstoß ebenso wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die als SPD-Kandidatin für das Amt der Bürgermeisterin gilt: "Ein großartiges Zeichen der BVG gegen Rassismus, Hass und Hetze."

Die Jüdische Allgemeine berichtete dann, was auf Wikipedia zu dem Zeitpunkt offenbar noch nicht stand: Glinka war auch ein Nationalist und vor allem ein überzeugter Antisemit. Karin Prien, die Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU, warf der BVG daraufhin "Doppelmoral" vor. Anfang vergangener Woche zog die BVG dann ihren Vorschlag zurück. Man habe nur den Wikipediaeintrag des Komponisten gelesen, da sei vom Antisemitismus keine Rede gewesen. Wirtschaftssenatorin Pop, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der Verkehrsbetriebe ist, kritisierte nun die "Schnellschüsse" bei der Namenssuche. Jetzt soll im "offenen Verfahren" mit Anwohnern und Experten eine neue Bezeichnung gefunden werden.

Neuer Favorit ist Anton Wilhelm Amo, der erste bekannte Philosoph afrikanischer Herkunft

Der Name, der dabei von zahlreichen Initiativen favorisiert wird, ist der von Anton Wilhelm Amo. Amo gilt als der erste bekannte Jurist und Philosoph afrikanischer Herkunft, er wurde Anfang des 18. Jahrhunderts als Sklave verschleppt und an Adlige in Deutschland verschenkt. Später wurde er getauft und am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel ausgebildet. Er studierte in Halle, seine erste Disputation trug den Titel: "Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa".

Umbenennungen sind für die U-Bahnstation seit ihrer Eröffnung 1908 jedenfalls nichts Neues. Vor der "Mohrenstraße" hieß sie bereits "Kaiserhof", "Thälmannplatz" und "Otto-Grotewohl-Straße". Der Zeitgeist hat diese Namen hinweggefegt.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2020
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