Süddeutsche Zeitung

Belgien:Tod in der Zelle

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Das Schicksal eines inhaftierten Slowaken löst im Land eine Debatte über Polizeigewalt aus. Eine Beamtin zeigte sogar den Hitler-Gruß. Die Politik verspricht nun Aufklärung. Doch die Aufnahmen sind bereits zwei Jahre alt.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Ein Mann, der seinen Kopf wieder und wieder gegen eine Tür schlägt, Wiederbelebungsversuche und eine Polizistin, die den Hitlergruß zeigt: Das Video, über das in Belgien seit Mittwochnachmittag diskutiert wird, ist in jeder Hinsicht verstörend. Es wirft viele Fragen auf, etwa die, wie diese drei Dinge zusammenhängen. Und es hat in der belgischen Politik Diskussion über Polizeigewalt ausgelöst. "Wie viele andere bin auch ich geschockt von diesen Bildern", sagt etwa der Präsident der sozialistischen Partei PS, Paul Magnette. Er fordere, dass der Vorfall restlos aufgeklärt werde.

Das Video, das die flämische Zeitung Het Laatste Nieuws am Mittwoch veröffentlichte, stammt aus dem Februar 2018. Aufgenommen wurde es von einer Überwachungskamera in einer Arrestzelle am Flughafen von Charleroi im französischsprachigen Teil von Belgien. Der slowakische Mann, der dort festgehalten wird, war eigentlich auf dem Weg nach Bratislava. Er war festgenommen worden, weil er sich vor Abflug seines Fliegers auffällig benommen hatte: Er hatte sich geweigert, sein Ticket vorzuzeigen, und eine Stewardess "gestoßen", wie unter anderem die Webseite "7 sur 7" berichtet.

In der Zelle zeigt der 38-Jährige deutliche Zeichen einer psychischen Erkrankung: In den frühen Morgenstunden beginnt er, mit dem Kopf gegen die Zellentür zu schlagen, viele Male, auf dem tonlosen Video sieht man, wie ihm das Blut das Gesicht hinab läuft. Sechs Polizisten betreten die Zelle. Fünf halten den Mann auf seiner Pritsche fest. Die sechste, eine Frau, steht daneben und zeigt den Hitlergruß, dazu markiert sie mit den Fingern der linken Hand ein Bärtchen an der Oberlippe. Sie scheint sich über die Situation lustig zu machen. Nach einem Schnitt sieht man, wie Beamte versuchen, den Mann wiederzubeleben, aber er starb kurz darauf im Krankenhaus. Der Mann habe einen Herzstillstand erlitten, berichten belgische Medien mit Bezug auf den Obduktionsbericht, und er habe nicht unter Drogen- oder Alkoholeinfluss gestanden. Die Bilder erinnern in Belgien viele an den Tod von George Floyd in den USA.

Die Beamtin, die den Hitler-Gruß gezeigt hat, wurde in den Innendienst versetzt - aber erst an diesem Donnerstag, nachdem die Medienberichte erschienen waren. Man habe vorher von dem Vorgang nichts gewusst, teilte die Bundespolizei mit.

Das ist zumindest erstaunlich, denn die Staatsanwaltschaft von Charleroi untersucht den Fall bereits seit zweieinhalb Jahren - viel zu lange, sagte die Witwe des in Charleroi verstorbenen Mannes in Het Laatste Nieuws. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft von Charleroi sagte, alle beteiligten Beamten seien bereits vernommen worden, aber wegen der Corona-Krise verzögere sich der Abschluss der Untersuchung. Bei der Bundespolizei will man nun auch klären, warum man erst jetzt von dem Fall erfahren habe.

Die Witwe des Mannes hofft, dass durch die neuen Bilder Bewegung in die Sache kommt. Über ihre Anwältin fordert sie, dass der bisherige Untersuchungsrichter in dem Fall ersetzt wird. Und auch in der Politik hofft man, dass die Untersuchungen nun bald ein Ergebnis bringen. Was geschehen sei, sei unerträglich, sagte der belgische Innenminister Pieter De Crem. Er erwarte das Ende der gerichtlichen Untersuchung, aber die Gewaltanwendung sei in jedem Fall völlig unverhältnismäßig gewesen.

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SZ vom 21.08.2020
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