Süddeutsche Zeitung

Baden-Württemberg:Still, also laut

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Seit hundert Tagen gibt es nun Grün-Schwarz in Baden-Württemberg. Das Bündnis arbeitet geräuschlos - und das ist genau die Botschaft, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach Berlin senden will: Es funktioniert.

Von Josef Kelnberger

Die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg blickt gerade auf ihre ersten hundert Tage zurück, und der spektakulärste Punkt in ihrer Leistungsbilanz ist zweifellos: Es gibt sie jetzt seit hundert Tagen. Die Hochwassernothilfe, ein Eklat um Geheimabsprachen, der kaum zum Skandal taugte; mehr eignete sich nicht als Schlagzeile. Wer eine Politik schätzt, die täglich einen Knaller zündet, wird von diesem Bündnis enttäuscht. Doch könnte von dieser Stuttgarter Geräuschlosigkeit eine sehr laute Botschaft ausgehen, wenn demnächst der neue Bundespräsident gekürt wird und der Bundestagswahlkampf 2017 anbricht: Grün-Schwarz funktioniert.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann fühlt sich an der Seite der CDU mindestens so wohl wie als Partner der SPD. Die großen Prüfungen stehen erst bevor, doch zumindest sind die Rollen klar verteilt. Die CDU steht für einen Ausbau der Polizei, für innere Sicherheit, die Grünen für eine ökologische Wohlstandsgesellschaft. Und die Absprachen funktionieren. Kretschmanns Stellvertreter Thomas Strobl zählt zu den mäßigenden Kräften, wenn die CDU-Innenminister um ein Burka-Verbot ringen. Kretschmann wiederum stimmt im Bundesrat für mehr "sichere Herkunftsländer" und vertritt in Steuerfragen eine wirtschaftsfreundliche Position, die der CDU fast schon zu CDU-like ist. Seine Botschaft: So könnte das auch im Bund funktionieren.

Kretschmanns Plädoyer für Schwarz-Grün hat die erwartbare Kritik von Jürgen Trittin provoziert. Dieser Streit, Ausdruck des ewigen Kampfes zwischen Realos und Fundis, stiftet Unfrieden in einer Partei, die gerade neues Spitzenpersonal für die Bundestagswahl sucht. Doch Kretschmann wird nicht lockerlassen. Dass er 2013 in der Steuerdebatte klein beigab, hat er sich nicht verziehen. Deshalb ist mit ihm nun keine Vermögensteuer zu machen, und die Erbschaftsteuer soll unternehmerfreundlich reformiert werden. Seine Überzeugungen, einst "ökolibertär" genannt, stehen unverändert: Ökologie geht nicht ohne Wachstum, Umverteilung ist kein Wert an sich, Steuererhöhungen dienen nicht einer höheren Gerechtigkeit, sondern dem Zweck, dem Staat Geld zu verschaffen. Wenn Kretschmann von "Gerechtigkeit" spricht, dann in der Bildung. Auf dieser Basis lässt sich eine Verständigung mit der CDU herstellen. Nun muss er sich mit der eigenen Partei verständigen.

Kretschmanns Signal an Berlin, nach 100 Tagen Grün-Schwarz: Es funktioniert

Mehrmals hat Kretschmann zuletzt Signale erhalten, dass sich die Partei von ihm zu emanzipieren gedenkt. Bei der Abstimmung über die sicheren Herkunftsländer stand er allein, ebenso in der Debatte über die Erbschaftsteuerreform. Man wirft ihm Halsstarrigkeit und Sonnenkönigtum vor. Kretschmann wiederum hält die grüne Blockade im Bundesrat für keine rationale Form der Politik. Die Grünen werden jedenfalls bei der Bundestagswahl keine großen Sprünge machen, wenn sie ihren beliebtesten Politiker nicht einzubinden verstehen.

Eine Mehrheit mit SPD und Linken ist derzeit nicht mehr als eine Rechenoption. Das Bündnis mit der CDU dagegen ist eine konkrete Machtoption. Schwarz-Grün funktioniert in Hessen. Und in Baden-Württemberg hat Grün-Schwarz zumindest einen soliden Start hingelegt. Irgendwann werden sie auch anfangen, Schlagzeilen zu produzieren.

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SZ vom 20.08.2016
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