Süddeutsche Zeitung

Baden-Württemberg:Helle Freude

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Alles neu in Stuttgart: Im frisch renovierten und lichtdurchfluteten Parlament wählen die Abgeordneten die erste muslimische Landtagspräsidentin.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Dieser Mittwoch sollte eigentlich ein Tag der hellen Freude sein im Landtag von Baden-Württemberg. Nach mehr als zwei Jahren Umbauzeit kehrte das Parlament aus dem Provisorium im Kunstbau gleich nebenan zurück in sein angestammtes Haus, pünktlich zur ersten Sitzung des neuen Parlaments. Man blieb im Zeitplan und im Kostenrahmen von 50 Millionen Euro. Die Abgeordneten sitzen nicht mehr in einem fensterlosen Bunker - durch Schächte in der Decke flutet nun helles Licht herein. "Ich hoffe, dass sich diese Öffnung nach außen auf uns und unsere Arbeit überträgt", sagte Muhterem Aras in ihrer Antrittsrede als Parlamentspräsidentin. Als erste Frau wurde die Grüne in dieses Amt gewählt, ein Glanzpunkt gleich am ersten Tag. Doch in den Hintergrundgesprächen ging es nur um ein Thema: Kommt es am Tag zwei zu einem Eklat?

An diesem Donnerstag will sich Winfried Kretschmann erneut zum Ministerpräsidenten wählen lassen, als Kandidat einer grün-schwarzen Koalition. Die beiden Fraktionen verfügen über eine Mehrheit von 89 der 143 Abgeordneten. Eine Probeabstimmung in der CDU-Fraktion am Dienstagabend hat aber Zweifel gesät, ob die nötigen 72 Stimmen erreicht werden. Auf nur 26 Stimmzetteln fand sich ein Ja. Acht CDU-Leute stimmten mit Nein, fünf enthielten sich, drei Abgeordnete fehlten. Geht man davon aus, dass alle 47 Grünen für Kretschmann votieren, stünde die Mehrheit immer noch solide. Doch für die CDU, auf Geschlossenheit bedacht, war diese Abstimmung ein verheerendes Signal. Thomas Strobl, der Kopf der CDU in der grün-schwarzen Koalition, stürmte wütend aus dem Fraktionssaal.

Von "Kindergarten" war am nächsten Tag in Strobls Umfeld die Rede. Ein derartiges Verhalten habe man sich in Zeiten der absoluten Mehrheit leisten können, aber nicht mit den 27 Prozent als Juniorpartner der Grünen. In der CDU gilt als gesichert: Die Nein-Stimmen richteten sich nicht in erster Linie gegen Kretschmann - sondern gegen Strobl.

Der Landesvorsitzende habe die Fraktion bei der Nominierung der CDU-Leute für das Kabinett nicht ausreichend berücksichtigt. Susanne Eisenmann, bislang Stuttgarter Schulbürgermeisterin, als Kultusministerin. Nicole Hoffmeister-Kraut, Parlamentsneuling, als Wirtschaftsministerin. Guido Wolf, der gescheiterte Spitzenkandidat, als Minister mit den sehr disparaten Zuständigkeiten für Justiz, Europa und Tourismus. Da fühlten sich altgediente Abgeordnete übergangen. Strobl habe sich mit der Fraktion nicht beraten, sondern lediglich die Namen bekannt gegeben. Generell gilt das Verhältnis zwischen Strobl - dem Bundespolitiker - und der Fraktion als schwierig.

Offenbar aus Verärgerung über ihn hatten die Abgeordneten bei ihrer Sitzung am Dienstag spontan die Neuwahl des neuen Fraktionsvorsitzenden auf die Tagesordnung gesetzt. Als Nachfolger von Guido Wolf, des designierten Ministers, kam der vormalige Europaminister Wolfgang Reinhart zum Zug. Er gilt seit vielen Jahren als Widerpart von Thomas Strobl. Die Christdemokraten außer Rand und Band, die Grünen dagegen als Hort der Stabilität: Es herrschen wahrhaft kuriose Verhältnisse in Baden-Württemberg.

Kretschmann wurde von Strobl persönlich über das Abstimmungsergebnis informiert. Hört man sich bei seinen Vertrauten um, stößt man auf Gelassenheit: Besser, der Unmut in der CDU finde zwei Tage vor der Kretschmann-Wahl ein Ventil als am Wahltag. Die Gemüter seien bei der CDU verständlicherweise noch erregt angesichts der Wahlniederlage und der langwierigen Koalitionsverhandlungen. Am Donnerstagmorgen will sich Kretschmann in der CDU-Fraktion vor der Wahl noch Fragen stellen. Der neue Fraktions-Chef Reinhart versicherte: "Wir werden die Regierung mehrheitlich bestätigen - mit geschlossener Haltung von der Fraktion."

Am ersten Tag im sanierten Parlamentsgebäude funktionierte die Zusammenarbeit zwischen den Koalitionspartnern leidlich. Muhterem Aras kam bei ihrer Wahl auf 96 der 143 abgegebenen Stimmen. Es lässt sich nur spekulieren, wie viele Nein-Stimmen aus der CDU kamen. Wilfried Klenk, ihr Stellvertreter, sammelte immerhin 115 Stimmen ein. Grüne und Schwarze machten dann gemeinsame Sache mit SPD und FDP, als es darum ging, die AfD in die Schranken zu weisen. Sie hatten sich schon vor Wochen darauf geeinigt, dass es statt zwei nur noch einen Vize-Parlamentspräsidenten geben soll, und blieben am Mittwoch dabei. Üblicherweise fällt der zweite Posten an die drittstärkste Kraft im Parlament. Das wäre nun die AfD. Deren Fraktionschef Jörg Meuthen rügte, damit werde der Wählerwille missachtet. Die Wahl von Muhterem Aras wollte Meuthen nicht als Absage an die AfD werten: "Wir haben immer gesagt: Zu Deutschland gehören sehr wohl Millionen Menschen islamischen Glaubens, die bei uns leben, friedlich integriert. Eine davon ist jetzt Landtagspräsidentin - so what?"

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SZ vom 12.05.2016
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