Süddeutsche Zeitung

Australien:Briefe mit politischer Brisanz

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An diesem Dienstag veröffentlicht das Nationalarchiv 211 Briefe zwischen dem Generalgouverneur Kerr und der Queen. Sie belegen, welche Rolle Elizabeth II. bei der Amtsenthebung von Premierminister Whitlam im Jahr 1975 spielte.

Von Jan Bielicki, München

Diese Rede kennt jeder Australier, der sich für Politik interessiert. "Gut", so begann Gough Whitlam, "sagen wir ,Gott erhalte die Königin', denn nichts wird den Generalgouverneur erhalten." Whitlam stand auf den Stufen des Parlamentsgebäudes in Canberra, als er am 11. November 1975 vor Anhängern und Reportern seine zornigen Worte sprach. Kurz zuvor hatte Generalgouverneur John Kerr ihn aus dem Amt des Regierungschefs entlassen.

Der Rauswurf des gewählten Labor-Premiers durch den Vertreter des Staatsoberhaupts war die wohl umstrittenste Aktion in Australiens Nachkriegspolitik - und sie wirkt bis heute nach. Denn das Staatsoberhaupt ist immer noch dasselbe wie vor 45 Jahren: Elisabeth die Zweite, von Gottes Gnaden Königin von Australien und Ihrer anderen Reiche und Territorien, Haupt des Commonwealth, so ihr offizieller Titel down under. Und seither blieben entscheidende Fragen zu diesem historischen Moment unbeantwortet: Was wusste die Königin im fernen London von der Kabale am anderen Ende der Welt? Und wie stark war das Königshaus involviert?

An diesem Dienstag hat Australiens Nationalarchiv 211 Briefe öffentlich gemacht, die mehr Licht auf die Vorgänge werfen, die Whitlams Sturz vorausgingen. Vier Jahre hatte die Historikerin Jenny Hocking bis vor das oberste Gericht prozessiert, um die Offenlegung der Korrespondenz zwischen Generalgouverneur Kerr und der Königin - genauer: ihrem damaligen Privatsekretär Martin Charteris - zu erzwingen. Bis dahin hatte das Archiv die "Palastbriefe" als "privat" weggeschlossen. Doch nun, so freute sich Hocking, hätten sich die Dokumente "als genau die Bombe erwiesen, die sie zu sein versprachen".

Denn klar ist nun: Die Queen wusste viel von der politischen Krise, die sich in Canberra anbahnte - aber wohl nicht alles. Und das Königshaus nahm, so Hocking, "alarmierenden" Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Generalgouverneurs.

Kerr hatte demnach schon Monate vorher erwogen, Whitlam zu entlassen - ein Akt, der in den konstitutionellen Monarchien des Westminster-Modells gar nicht vorgesehen ist. Denn eigentlich hat der Monarch dort politisch nur das zu tun, was der Regierungschef vorgibt. Wenn ein Premier sagt: "Ich rate Ihrer Majestät ...", so ist das ein Befehl. Bis zu jenem Novembertag 1975 galt es als völlig ausgeschlossen, das der Vertreter der Königin einen Premierminister, der über eine Mehrheit im Parlament verfügt, des Amtes enthebt und durch den Führer der Opposition ersetzt.

Der Oppositionsführer Anthony Albanese nennt Whitlams Entlassung einen "Schandfleck"

Der charismatische Whitlam hatte die Labor-Partei 1972 nach 23 Jahren liberal-konservativer Regierung wieder an die Macht gebracht und war so etwas wie der Willy Brandt des fünften Kontinents. Seine Regierung schuf in nur drei Jahren aus einem ziemlich vermufften Land das moderne Australien. Sie zog die Truppen aus dem Vietnamkrieg zurück und schaffte die Wehrpflicht ab, beseitigte die Studiengebühren, baute eine Krankenversicherung für alle auf - und ersetzte die Nationalhymne "God save the Queen" durch ein heimisches Lied. Doch dann setzte der weltweite Ölschock der Wirtschaft zu, Whitlam verlor an Popularität, und im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, hatte sich die liberal-konservative Opposition eine Mehrheit verschafft. Deren Führer Malcolm Fraser nutzte das, um Haushaltsgesetze zu blockieren, ohne die die Regierung kein Geld ausgeben durfte. Er wollte den Premier dazu zwingen, Neuwahlen auszurufen. Doch Whitlam weigerte sich, das zu tun.

In dieser Blockade kam der Generalgouverneur ins Spiel. Der Jurist und Richter Kerr war 1974 auf Whitlams Vorschlag ins Amt gekommen - doch er tickte deutlich konservativer als der Reformpremier. Wie aus den jetzt veröffentlichten Briefen hervorgeht, weihte er das Königshaus lange vorher in seine Überlegungen ein, eventuell auf die eigenen "reservierten Machtbefugnisse" zurückzugreifen, die ihm laut Australiens Verfassung zumindest theoretisch erlaubten, den Premier abzusetzen.

Aus dem Buckingham-Palast erhielt er Bestätigung: "Diese Befugnisse existieren wirklich", schrieb Privatsekretär Charteris zurück und lobte: "Ich denke, Sie spielen Ihr ,vize-königliches Blatt' mit Geschick und Weisheit". Mit Prince Charles sprach Kerr über seine Angst, dass Whitlam ihm auf die Schliche kommen und der Königin seine Entlassung anraten könnte. Wenn das geschehe, so beruhigte Charteris den Generalgouverneur, "können Sie sicher sein, dass die Königin das äußerst unfreundlich aufnehmen würde". Wie er sich dann entschied, meldete Kerr aber erst nach Whitlams Absetzung nach London: "Ich war der Meinung, dass es besser war für Ihre Majestät, es vorher nicht zu wissen." Damit, so bedankte sich Charteris, habe Kerr "mit bewundernswerter Rücksicht auf die Lage Ihrer Majestät" gehandelt.

Die Veröffentlichung der Briefegibt der republikanischen Bewegung Auftrieb, die Australiens koloniale Bindungen ans britische Königshaus lösen will

Wem Kerr nichts von seinen Überlegungen erzählte, war sein Premier. Als Whitlam am 11. November in der Residenz des Generalgouverneurs auftauchte, um ihm Neuwahlen nur für den Senat zu empfehlen, war das Entlassungsschreiben schon aufgesetzt und Oppositionsführer Fraser im Haus, um die Ernennungsurkunde zu erhalten. Die folgenden Wahlen gewann Fraser haushoch und regierte dann siebeneinhalb Jahre - ohne die Reformen seines Vorgängers zurückzustutzen.

Auftrieb gibt die Veröffentlichung des Briefwechsels nun der republikanischen Bewegung, die Australiens koloniale Bindungen ans britische Königshaus lösen will. Kerr habe der Königin Bericht erstattet "wie ein Filialmanager, der ans Hauptquartier berichtet", sagte Ex-Premier Malcolm Turnbull, vor knapp zwei Jahren von den eigenen Liberalen gestürzt, und folgerte: "Bis unser Staatsoberhaupt ein australischer Staatsbürger ist, mit Loyalität nur zu diesem Land, ist unsere Verfassung unvollendet." Der heutige Labor-Chef und Oppositionsführer Anthony Albanese erklärte, Whitlams Entlassung sei "ein Schandfleck auf unserem Charakter als Nation" und "verstärkt die Notwendigkeit für uns, ein australisches Staatsoberhaupt zu haben".

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SZ vom 15.07.2020
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