Süddeutsche Zeitung

Auschwitzprozess:Verteidiger von SS-Wachmann fordern Freispruch

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Im Auschwitzprozess haben die Verteidiger Freispruch für den angeklagten früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning gefordert. In der Verhandlung seien keine Beweise für die direkte Beteiligung des heute 94-Jährigen an konkreten Taten vorgelegt worden, sagte Rechtsanwalt Johannes Salmen in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Detmold. Hanning habe zu keinem Zeitpunkt Menschen getötet, geschlagen oder dabei geholfen. Auch habe er den Teil des Lagers, in dem die Gaskammer lagen, nie betreten.

Der frühere SS-Wachmann ist als Teil der Tötungsmaschinerie des Vernichtungslagers wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 100 000 Juden angeklagt. Einige Nebenklägervertreter sehen den SS-Unterscharführer Hanning als Mittäter und nicht als Helfer. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Beihilfe sechs Jahre Haft gefordert.

Wie die Verteidigung argumentiert

Jüngere Schuldsprüche gegen Vernichtungslager-Wachmänner wegen Mordbeihilfe seien bislang nicht rechtskräftig, stellten Hannings Verteidiger dagegen fest. So werde im Fall des 2015 als "Buchhalter von Auschwitz" zu vier Jahren Haft verurteilten Oskar Gröning noch über eine Revision entschieden. Daher habe die höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 1969 noch immer Gültigkeit: Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs sei nicht jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers eingegliedert war, für alles verantwortlich zu machen.

Der Anwalt Salmen betonte, dass Hanning noch ein Jugendlicher gewesen sei, als er sich zur SS meldete. Als einfacher Arbeiter ohne Schulabschluss habe er die Folgen seines Handelns nicht überblicken können. "Man kann heute nicht so tun, als ob der Angeklagte damals ein gestandener Mann war, der wusste was er tut", sagte Salmen.

Von Karrieregedanken getrieben, habe er sich zur SS gemeldet. Fortan habe er im Dienste eines verbrecherischen Systems gestanden, dessen Befehle er befolgen musste. Sich zu verweigern, habe er aus Angst vor den Folgen nicht gewagt. Heute bereue Hanning sein Verhalten und schäme sich. Der Prozess habe Spuren hinterlassen: "Er ist ein gebrochener alter Mann und nicht mehr derjenige, der er vor der Verhandlung gewesen sein mag", sagte der Verteidiger.

In dem Prozess hatte der 94-Jährige die meiste Zeit geschwiegen, sich nur in einer kurzen persönlichen Erklärung entschuldigt. In einem von seinem Anwalt verlesenen Bericht zum persönlichen Werdegang hatte der Angeklagte den Eindruck vermittelt, er sei zufällig und durch das Zutun anderer als Wachmann in Auschwitz gelandet. Der 94-Jährige verzichtete am Samstag auf das letzte Wort und schwieg. Am kommenden Freitag wollen die Richter ihr Urteil sprechen.

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