Detmold:Auschwitz-Prozess: Nebenklage zweifelt an der Reue des früheren SS-Manns

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Den Blick gesenkt: Der ehemalige SS-Wachmann Reinhold Hanning hat es im Prozess vermieden, den Auschwitz-Überlenden in die Augen zu sehen. (Foto: dpa)
  • Der Auschwitz-Prozess in Detmold nähert sich mit den beginnenden Schlussplädoyers seinem Ende.
  • Zwei Nebenkläger-Anwälte werfen dem angeklagten früheren SS-Wachmann vor, seine Rolle in dem Vernichtungslager zu untertreiben.

Im Detmolder Auschwitz-Prozess haben die Nebenklägeranwälte dem früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning Unglaubwürdigkeit und fehlende Reue vorgeworfen. In seinem Schlusswort am Freitag bezeichnete Nebenkläger-Vertreter Thomas Walther die schriftliche Erklärung des 94-jährigen Angeklagten im Prozess als substanzlos.

"Aus der Sicht der Nebenkläger wird der Versuch unternommen, sich mit untauglichen Mitteln aus jeglicher Verantwortung heraus zu reden", sagte Walther. Der Rechtsanwalt vertritt fast die Hälfte der 57 Überlebenden und Angehörigen von Holocaust-Opfern, die im Prozess Nebenkläger sind.

In einem knapp eineinhalbstündigen Vortrag appellierte der Anwalt immer wieder an den Angeklagten, sich seiner Verantwortung zu stellen. Er solle sich nicht als Unglücksfall darstellen, der ohne eigenes Zutun nach Auschwitz kam, "um dort als unbeteiligter Zaungast zuzuschauen", so Walther. Der Angeklagte habe sich ganz bewusst zum Dienst in der SS gemeldet. Dass der heute 94-Jährige nach eigenen Worten unter anderem von seiner damaligen Schwiegermutter dazu gedrängt worden sei, ließ Walther nicht gelten.

Auschwitz-Prozess in Detmold
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Reinhold Hanning, ehemaliger Aufseher im KZ Auschwitz, äußert sich vor Gericht erstmals über die Zeit, die er sein Leben lang verdrängen wollte.

Auch dass der Angeklagte sein Verhalten tatsächlich bereue, bezweifelte der Nebenkläger-Vertreter: Über weite Strecken des Prozesses habe er seinen Kopf gesenkt und die aussagenden Zeugen und anwesenden Überlebenden keines Blickes gewürdigt. Dies sei für die überlebenden KZ-Insassen heute noch so emotional aufwühlend, weil es ihnen in Auschwitz streng untersagt war, Blickkontakt mit Wachsoldaten oder anderem Lagerpersonal aufzunehmen. "Damit erweisen Sie den Opfern noch einmal dieselbe Missachtung wie damals", sagte Walther in Richtung des Angeklagten.

Dieser hatte seit Beginn des Prozesses im Februar die meiste Zeit geschwiegen und die Blicke der zahlreichen Auschwitz-Überlebenden im Zeugenstand gemieden. Schließlich hatte er über seine Anwälte angegeben, von anderen zur SS gedrängt und nur wegen einer Kriegsverletzung in Auschwitz gelandet zu sein.

Vorwurf der Beihilfe zum Mord in mehr als 100 000 Fällen

Die Staatsanwaltschaft wirft Hanning Mordbeihilfe in weit mehr als 100 000 Fällen vor und fordert sechs Jahre Haft, weil er als Wachmann der SS am Vernichtungszweck des Lagers mitgewirkt habe.

Als weiterer Nebenkläger-Vertreter ergriff am Freitag Cornelius Nestler das Wort. Er lobte die Anklage, weil sie endlich eine Selbstverständlichkeit anerkenne: Wachleute, die ein auf die Tötung von Menschen ausgerichtetes System absicherten, seien am Massenmord beteiligt gewesen. Dieser Auffassung war die Justiz jahrzehntelang nicht gefolgt, hatte Verfahren eingestellt oder erst gar nicht ermittelt.

Nestler hob hervor, Hanning sei kein einfacher Befehlsempfänger gewesen. Als SS-Unteroffizier habe er eine Schlüsselfunktion gehabt - "mit umfassender Kenntnis der Abläufe der Vernichtung, mit besonderer Befehlsgewalt, mit besonderem Vertrauensverhältnis zur Kompanieführung".

Weil der Angeklagte genau gewusst habe, dass seine Tätigkeit dazu diene, das Morden möglich zu machen, sieht Nestler Hannings Verhalten gar im Grenzbereich zur Mittäterschaft, nicht der bloßen Beihilfe. Am kommenden Prozesstag werden weitere Nebenkläger-Vertreter plädieren. Auch die Verteidiger erhalten noch das Wort. Das Gericht hat zunächst drei weitere Termine angesetzt.

An diesem 15. Prozesstag kämpften einige Angehörige der Nebenkläger schon vor Beginn mit den Tränen, weil die inzwischen mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilte 87-jährige Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aus Vlotho als Zuhörerin eingelassen worden war. Zu Zwischenfällen oder Zwischenrufen kam es während der Gerichtsverhandlung aber nicht.

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