Süddeutsche Zeitung

Argentinien:Modellwechsel

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Nach dem Wahlsieg der Konservativen zeichnet sich ein Ende der sozialistischen Staats-Philosophien in Lateinamerika ab. Die Regierung in Buenos Aires muss wieder mit der Welt und den Märkten klar kommen. Die Wähler wollen es so.

Von Sebastian Schoepp

In Südamerika hat am Sonntagabend das Ende einer Epoche begonnen. Anderthalb Dekaden lang war die Weltregion von politisch hell- bis dunkelrot gefärbten Politikern geprägt, die sich lustvoll mit den USA und den internationalen Finanz-Organisationen anlegten und der krassen sozialen Ungleichheit mit staatlichen Instrumenten beikommen wollten. Das linke Latino-Projekt ruhte auf zwei Eckpfeilern: dem Petrosozialismus des Hugo Chávez in Venezuela und dem Autarkismus der Kirchner-Dynastie in Argentinien. Mit dem Wahlsieg des Konservativen Mauricio Macri in Argentinien ist nun einer dieser Pfeiler weggeknickt.

Auch in anderen Ländern bröckelt die linke Dominanz. In Brasilien wankt Dilma Rousseff, in Venezuela muss der talentlose Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro bei der Parlamentswahl im Dezember mit einer Niederlage rechnen. Und sogar Kuba verhandelt mit dem Erzfeind USA. Die verbleibenden Statthalter der Linken, der Andensozialist Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador könnten sich bald schon sehr einsam vorkommen.

Weltpolitisch gesehen ist mit dem Wahltag auch die Ära des rebellischen Argentinien vorüber, das die Rolle des Paria an den Finanzmärkten zelebrierte, Hegdefonds und dem IWF die Tür wies und damit zu einer Art Rollenmodell einer neuen Generation südeuropäischer Linker wurde, von Yanis Varoufakis in Griechenland bis Pablo Iglesias in Spanien.

In Lateinamerika endet die Phase sozialistischer Staatsphilosophie

Mit dem Ende der linken Dominanz kommt auch eine Phase ungewohnter Kontinuität zum Abschluss. Zwölf Jahre haben zuerst Néstor Kirchner und später seine Witwe Cristina an der Staatsspitze Argentinien geprägt, eine einmalig lange Zeit für das Land. Das Verdienst Kirchners wird bleiben, dass sie ein Umfeld geschaffen haben, in dem die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur (1976 bis 1982) möglich wurde.

Wirtschaftlich gründete der linke Boom in Argentinien und anderswo auf hohen Rohstoffpreisen. Öl und Gas haben die Kassen gefüllt und Sozialprogramme möglich gemacht. Das holte Hunderttausende aus der Armut, die sich wiederum für ihren Aufstieg an der Urne bedankten. Doch mit sinkenden Rohstofferlösen gerät dieses Modell ins Wanken. Der Kirchnerismus war für Argentinien kaum mehr finanzierbar. Die Präsidentin versuchte, eigene Wertschöpfungsketten zu schaffen, eine Art "Marke Argentinien" zu etablieren. Doch der Preis für die Abschottungspolitik - Konsumverzicht und Inflation - war einer Mehrheit zu hoch. Also entschied man sich für den Wandel, durchaus eine Novität in einem Land, wo linke Regierungen früher eher vom Militär weggeputscht wurden.

Der Erfolg des rechtskonservativen Mauricio Macri gründet ebenfalls auf Kontinuität. Er hat als Bürgermeister von Buenos Aires zäh an seinem Aufstieg gebastelt, hat dabei strukturiert gewirtschaftet. Und er hat den richtigen Zeitpunkt abgepasst: Er trat erst an, als Cristina Kirchner verfassungsmäßig nicht mehr kandidieren durfte. Die in Argentinien stets hochexplosiven Massen gewann Macri, indem er versprach, zwar auf mehr Markt zu setzen, aber nicht alle Errungenschaften seiner Vorgänger zunichte zu machen - auch das eine Neuigkeit in Lateinamerika.

Manches in Argentinien erinnert an das Nachbarland Chile, wo der Milliardär Sebastián Piñera 2010 die Sozialistin Michelle Bachelet an der Staatsspitze ablöste. Doch der Konservative schaffte es nicht, mit seiner marktliberalen Politik zu überzeugen in einer Weltregion, deren Hauptproblem noch immer soziale Ungleichheit ist. 2014 kehrte Michelle Bachelet an die Macht zurück. In Argentinien muss Macri nun erst beweisen, dass er tatsächlich mehr zu bieten hat als Klientelpolitik für die Agrarlobby und die Vermögenden.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2015
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