Süddeutsche Zeitung

Argentinien:Ein Buch für das nächste Kapitel

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Ex-Präsidentin Cristina Kirchner stellt ihre Autobiografie vor, die als Start in eine neue Kandidatur gilt. Doch bei einem Sieg wartet ein riesiger Schuldenberg.

Von Christoph Gurk, München

" Sinceramente" , auf Deutsch so viel wie "Ehrlich gesagt", hat Cristina Fernández de Kirchner ihre Autobiografie genannt. 600 Seiten dick ist das Buch und eine gnadenlose Abrechnung mit allen politischen Feinden, denn von denen hat die argentinische Expräsidentin mehr als genug. "Sinceramente" ist aber noch mehr, eine politische Ansage und ein Bestseller noch dazu: Mehr als 200 000 verkaufte Exemplare bisher, der Nachschub stockt, es gibt lange Wartelisten.

Der Erfolg des Buches ist - ehrlich gesagt - überraschend. Er zeigt aber auch, wie viele Verehrer Cristina Kirchner immer noch in Argentinien hat. Zwar ist nicht jeder Käufer auch automatisch ein Bewunderer, dennoch dürften viele zu jener treuen Kirchner-Basis gehören, die in den vergangenen Monaten immer stärker gewachsen ist und zu der auch Anhänger gehören, die Kirchner mit fast religiöser Inbrunst verehren.

Als die heutige Senatorin vergangene Woche ihre Autobiografie bei der Buchmesse von Buenos Aires präsentierte, musste die Straße vor dem Veranstaltungsort gesperrt werden, so groß war der Andrang. Tausende harrten im strömenden Regen aus, um ihre Ex-Präsidentin zu feiern, mit Stimmung wie im Fußballstadion und " Vamos a volver"-Sprechchören: Wir kommen wieder.

Kirchners Autobiografie ist ein Bestseller: 200 000 verkaufte Exemplare, lange Wartelisten

Denn auch wenn sie es bisher noch nicht offiziell zugegeben hat, dürfte Kirchners Buch der Auftakt einer groß angelegten Kampagne zur Rückkehr in den argentinischen Präsidentenpalast sein. Im Oktober finden in dem südamerikanischen Land Wahlen statt, und viele Besucher bei der Buchmesse erhofften sich einen Hinweis darauf, ob Kirchner nun antritt oder nicht. Die Aussichten sind vielversprechend: Auch seriöse Umfragen räumen ihr mittlerweile gute Chancen ein, Amtsinhaber Mauricio Macri zu besiegen.

Lange konnten sich das selbst treue Fans nicht vorstellen. Zwar war Kirchner durchaus beliebt, als sie 2007 ihrem Mann Néstor Kirchner im Präsidentenamt nachfolgte. Nach anfänglich guten Jahren dank eines Rohstoffbooms bekam die Wirtschaft aber bald ernsthafte Probleme; der Peso verlor immer mehr an Wert und damit schwand auch der Rückhalt in der Bevölkerung. Dazu kam eine ganze Reihe von Skandalen. Kirchner soll ein gigantisches Vermögen während ihrer Amtszeit angehäuft haben, dessen Herkunft sie nicht erklären will oder kann, sie ist angeklagt wegen Korruption und Geldwäsche, die Verfahren stehen aber noch aus.

Nach zwölf Jahren unter den Kirchners wollten viele Argentinier jedenfalls einen Wechsel. 2015 wählten sie den liberal-konservativen Macri ins Amt. Der Unternehmer versprach, die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Sein Wirtschaftskabinett sei das "beste Team in 50 Jahren", verkündete er nach Regierungsantritt. Heute ist niemand aus dieser Truppe mehr im Amt, und die Wirtschaft ist so tief am Boden, wie sie es unter den Kirchners nie war. Unternehmen gehen der Reihe nach pleite, es gibt Massenentlassungen, der Peso hat im Vergleich zum Dollar in nur einem Jahr die Hälfte an Wert verloren, und ein Drittel der Argentinier lebt unter der Armutsgrenze. Dazu kommen Sparmaßnahmen, beaufsichtigt vom Internationalen Währungsfonds. Von ihm hat Macri sich die Rekordsumme von 57 Milliarden Dollar geliehen. Dabei hat er es so eingefädelt, dass die erste Tranche der Rückzahlungen erst 2020, also nach den Wahlen im Oktober, fällig wird. Nicht weniger als 34 Milliarden muss das Land dann zurückzahlen. Wer auch immer das Rennen um den Präsidentenpalast gewinnt, erbt mit dem Amt auch gravierende finanzielle Probleme.

Dass nun auch noch Cristina Kirchner aus der politischen Versenkung aufgetaucht ist, macht die Lage nicht einfacher. Anleger befürchten, dass die Ex-Präsidentin, sollte sie gewinnen, wieder einen protektionistischen Kurs einschlägt oder vielleicht sogar den Schuldendienst ganz einstellt. Das käme nicht das erste Mal in der argentinischen Geschichte vor. Am Ende investieren die Kapitalgeber ihr Geld darum lieber anderswo, was die Krise in Argentinien nur noch verschärft - und gleichzeitig noch mehr Wähler dazu bringen könnte, Cristina Kirchner zu wählen.

Bis zum 22. Juni muss sie ihre Kandidatur bekannt gegeben haben. Erklärt hat sie sich noch nicht, genauso wenig wie Amtsinhaber Macri. Während dessen Popularitätswerte von Woche zu Woche sinken, klettern die von Cristina Kirchner in ungeahnte Höhen. Gerade plant sie mit "Sinceramente" eine Lesereise mit Stationen im ganzen Land. Das wiederum erinnert schon sehr stark an klassischen Wahlkampf.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2019
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