Süddeutsche Zeitung

Arbeitslos in Spanien:Mein Weg durch die Krise

Lesezeit: 4 min

Von Estefanía Almenta, Madrid

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung.

Schritt 1: Sich entscheiden

Mehrere Monate war ich arbeitslos. Dann beschloss ich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Doch es gab viele entmutigende Faktoren. Die Angst, dass sich meine Lage noch weiter verschlechtern würde. Ich war noch nie selbständig gewesen. Zuvor war ich im akademischen Bereich angestellt und hatte im Bereich bilingualer Unterricht geforscht und gelehrt. Ich bin niemand, der das Risiko liebt, weshalb ich mit Versagensängsten zu kämpfen hatte.

Auch die spanische Bürokratie bereitete mir Schwierigkeiten. Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien noch immer hoch ist (mehr als 50 Prozent der unter 25-Jährigen), wird nicht gerade viel getan, um für eine unternehmerfreundliche Atmosphäre zu sorgen. Allein die Regeln zur Steuerpflicht sind ein Albtraum.

Doch ich kam zu dem Schluss, dass das Risiko, zu warten, höher ist als das Risiko, es einfach zu versuchen. Also versuchte ich es.

Schritt 2: Aktiv werden

Ich irrte durch ein Labyrinth von Papieren. Ich ging von Amt zu Amt, ich wurde von einer Abteilung zur nächsten verwiesen, weil ich entweder am falschen Ort war oder ein Dokument fehlte oder die Person, die meine Unterlagen abstempeln sollte, krank war. Das war frustrierend. Mein Eindruck war, dass die Regierung die Menschen eher von der Selbständigkeit abschrecken wollte, anstatt sie zu ermutigen, diesen Weg einzuschlagen.

Glücklicherweise erhielt ich Unterstützung von der Vereinigung der Unternehmer im Ruhestand, die Jungunternehmern in Madrid bereitwillig helfen. Sie motivierten mich - trotz der verwirrenden Bürokratie - durchzuhalten.

Bis ich offiziell eine selbständige berufliche Tätigkeit ausüben durfte, vergingen sechs Wochen. Die finanziellen Investitionen hielten sich in Grenzen. Für meine Arbeit benötigte ich nur einen Laptop, eine Internet-Verbindung, einen Koffer und eine Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr. Ich betrieb vor allem Akquise und nutzte mein professionelles Netzwerk, um an Aufträge zu kommen. Damit hatte ich zum Glück Erfolg. Die meisten Aufträge erhielt ich durch Mundpropaganda. Ich verdiente zwar nicht viel Geld, doch die Fixkosten meines neuen Unternehmens waren nicht hoch, deshalb konnte ich meine Steuerschuld begleichen und von meiner neuen Berufstätigkeit leben.

Schritt 3: Resignieren

Zum ersten Mal seit Monaten schien meine berufliche Zukunft rosig. Alle gratulierten mir zu meinem Mut, mich als Freiberuflerin neu zu erfinden, und zu meinem Erfolg. Doch ich fühlte mich nicht als Siegerin. Ich war zwar glücklich, einen Job zu haben, der mir Spaß machte und mit dem ich meine finanziellen Verpflichtungen erfüllen konnte, doch etwas fehlte: das Leben. Ein Unternehmen zu führen, und sei es noch so klein und bescheiden wie meines, kostet viel Zeit und Energie. Darüber verlor ich meine Lebensfreude. Ich hatte damit gerechnet, dass die Freiberuflichkeit einen Großteil meines Lebens ausmachen würde, doch ich hatte nicht geahnt, dass mein Leben 24 Stunden, sieben Tage die Woche nur daraus bestehen würde.

Ich akzeptierte es gleichwohl, weil mir klar war, dass dies der Preis ist. Viele Freunde waren in einer ähnlichen Situation. Einige gingen ins Ausland (und ließen ihr bisheriges Leben zurück), einige kämpften ebenfalls mit ihrer Selbständigkeit und andere beschlossen, sich in sogenannten Diskussionsrunden zu engagieren, weil sie angesichts der Korruptionsfälle bei den etablierten Volksparteien unzufrieden und wütend auf das etablierte politische System waren. Diese Lücke nutzte die neue Linkspartei "Podemos" ("Wir schaffen es"). Sie wurde vor einem Jahr gegründet und ist die Folge der seit drei Jahren andauernden Krise und des Vertrauensverlustes in das traditionelle Zweiparteiensystem aus sozialistischer PSOE und konservativer PP.

Jobs waren unsere oberste Priorität. Ich war fest davon überzeugt, dass wir am Ende alle in Therapie sein würden. Das Problem war nur, dass keiner von uns dafür Zeit gehabt hätte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nachvollziehen, warum man lieber arbeitslos blieb, als sich selbständig zu machen. Die Hürden, die Unsicherheit und die harte Arbeit forderten ihren Tribut: Ich fühlte mich ausgebrannt, resigniert und erschöpft.

Schritt 4: Den Wandel annehmen

Doch irgendwie schaffte ich es, weiterzumachen. Vor vier Monaten, als sich mein Unternehmen gut etabliert hatte, ergab sich eine neue Gelegenheit. Eine Kundin, für die ich als Beraterin gearbeitet hatte, bot mir eine Stelle an ihrer Grundschule an. "Ich möchte, dass Sie als Trainerin für unsere Lehrer arbeiten, doch vor allem möchte ich, dass Sie als Lehrkraft den Bereich des bilingualen Unterrichts koordinieren." Das Angebot war sehr verlockend, aber es erforderte meine volle Hingabe. Wieder stand ich am Scheideweg.

Einerseits war es ein gut bezahltes Angebot mit geregelten Arbeitszeiten. Die Schule war mir bereits vertraut und ich bewunderte den Lehransatz. Andererseits bedeutete dies, dass ich alle meine laufenden Projekte aufgeben und meine Kunden verlieren würde. Anders ausgedrückt: Ein Jahr mit verrückt langen Arbeitszeiten und Opfern wäre sinnlos gewesen.

Ich entschied mich dafür, das Angebot abzulehnen. Ich erklärte der Rektorin meine Beweggründe. "Ich respektiere Ihre Entscheidung, aber ich verstehe sie nicht", sagte sie. "Wenn Ihnen der Job so gut gefällt, warum nehmen Sie ihn dann nicht an?" Ich antwortete: "Weil ich nicht scheitern darf. Ich habe so viel Energie in meine Freiberuflichkeit gesteckt, dass ich sie nicht einfach über Nacht aufgeben kann." Sie antwortete: "Sie scheitern nicht. Sie entwickeln sich weiter." In diesem Moment verstand ich, dass der neue Job keine Abwertung bedeutet. Ich bekam ihn genau deswegen angeboten, weil ich im vergangenen Jahr die Arbeit geleistet und die Fähigkeiten hierfür entwickelt hatte. Es war ein Schritt nach vorn, nicht zurück.

Schritt 5: Hoffen gegen die Hoffnung

Ich bin in einer privilegierten Situation. Ich setze in die Praxis um, was ich viele Jahre erforscht, gelehrt und empfohlen habe. Das ist eine wunderbare Art und Weise, sich fortzuentwickeln.

Viele ähnlich qualifizierte junge Menschen in Spanien hatten gleichwohl nicht so viel Glück. Die Politiker wissen das und sie versuchen, die Wähler auf zwei Arten anzusprechen: Sie schüren Ängste oder Hoffnungen. Für die erste Gruppe stehen die Konservativen und die Sozialisten. Sie wollen den Sparkurs fortzusetzen, um das Wachstum anzukurbeln. Anderenfalls "werden wir die leichten Verbesserungen einbüßen, die wir gerade erreicht hatten", warnen sie. Die zweite Gruppe, für die vor allem "Podemos" steht, fordert einen Strategiewechsel und lehnt Kürzungen vehement ab - mit dem Argument, dass die Krise auch weniger schmerzhaft überwunden werden könne.

Der Wahlkampf in Griechenland ist ähnlich verlaufen. Viele Spanier verfolgten das Rennen der Kandidaten und sahen darin eine Vorausschau auf die eigene Parlamentswahl im Herbst. "Podemos"-Parteichef Pablo Iglesias nutzte den Erfolg von Syriza, um seine eigene Kampagne anzukurbeln. "Syriza, Podemos - venceremos" rief er der Anti-Sparkurs-Partei in Athen zu.

Das Rennen dürfte spannend bleiben: Die konservative PP legt in jüngsten Umfragen wieder zu und liegt damit knapp vier Prozentpunkte vor "Podemos". Doch unter jungen Wählern ist "Podemos"-Parteichef Iglesias am beliebtesten - in dieser Generation trifft er mit seiner Kampagne einen Nerv.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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