Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus:"Dagegen sein reicht nicht mehr aus"

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Was könnte ein Beauftragter gegen Judenfeindlichkeit ausrichten - und was nicht?

Von Robert Probst, SZ, München

Rheinland-Pfalz macht es vor. "Es soll ein ganz klares Signal sein in dieser sehr aufgeheizten Situation", sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Gegen Judenhass setzt das Land einen Beauftragten für Antisemitismus ein - während viele andere noch darüber reden. In Mainz soll der scheidende Bürgerbeauftragte Dieter Burgard im nächsten Jahr für die ehrenamtliche Aufgabe berufen werden. "Neben dem Antisemitismus von rechts und der Verunsicherung durch den Rechtspopulismus erleben wir auch einen Antisemitismus unter Muslimen, aktuell besonders unter dem Aspekt von Flucht und Migration", sagte Dreyer. Auf Bundesebene ging derweil die Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Beauftragten weiter.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die Ankündigung aus Mainz. "Damit setzt die rheinland-pfälzische Landesregierung ein deutliches Zeichen, dass der Kampf gegen Antisemitismus für sie Priorität hat", sagte Präsident Josef Schuster am Mittwoch. Das Bundesland sei das erste, das einen solchen Beauftragten benennt. Schuster fügte an: "Ich wünsche mir, dass auch andere Bundesländer ihre Bemühungen gegen Antisemitismus intensivieren. Von besonderer Wichtigkeit ist für den Zentralrat der Juden ein Beauftragter zur Bekämpfung von Antisemitismus auf Bundesebene."

Ein solcher Bundesbeauftragter ist seit Langem ein großes Anliegen des Zentralrats. Durch die jüngsten Vorfälle, als bei pro-palästinensischen Demonstrationen anlässlich der US-Ankündigung, ihre Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, israelische Flaggen verbrannt wurden, hat diese Forderung neue Dringlichkeit erhalten. Zahlreiche Bundespolitiker unterstützten den Wunsch in den vergangenen Tagen, etwa die Minister Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD). Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), stimmte dem Vorschlag zu. "Kein Beauftragter wird allein etwas ausrichten können, wenn sich zum Beispiel nicht die Schulen und die politische Bildungsarbeit stärker mit dem Thema befassen", dämpfte sie jedoch in der Passauer Neuen Presse die Erwartungen.

Auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes und frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, sieht die Judenfeindlichkeit in Deutschland wachsen. Der Antisemitismus habe "sicherlich zugenommen", auch wenn es sich um Wellenbewegungen handele, sagte Kramer am Mittwoch im ZDF-Morgenmagazin. Er forderte konkretere Schritte gegen die Verbreitung antijüdischer Einstellungen. Bereits 2011 und 2017 habe es umfangreiche Berichte der Antisemitismus-Kommissionen gegeben. Passiert sei nicht viel. "Dagegen sein reicht einfach nicht mehr aus", mahnte der Verfassungsschutzpräsident. Es müsse jetzt tatsächlich gehandelt werden. Durch populistische und antisemitische Äußerungen werde die Stimmung immer mehr angeheizt, dadurch sinke auch die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden. Ein Antisemitismus-Beauftragter könne helfen, das Thema auf die Agenda zu setzen, "aber ich warne davor zu glauben, dass es ein Allheilmittel gibt, mit dem man das Problem lösen kann", sagte Kramer. Neben Bildung müsse auch wieder Empathie und Solidarität in der Bevölkerung gefördert werden.

Dieter Burgard leitet seit 2001 die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz. Er kündigte am Mittwoch an, an seine Erfahrungen in der Gedenkarbeit anknüpfen zu wollen. Eigene Haushaltsmittel sind für seine neue Stelle nicht vorgesehen.

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SZ vom 21.12.2017
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