Süddeutsche Zeitung

Anschlag von Nizza:Das Auto als Terrorwaffe

Lesezeit: 4 min

Autos werden schon seit Jahren als Terrorwaffe verwendet - doch bislang war die Zahl der Opfer eher gering. Der Anschlag von Nizza zeigt, vor welchen Problemen die Sicherheitsbehörden hier stehen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Bereits in den Bergen von Nizza können Überwachungskameras beobachten, wie der Attentäter seinen Lastwagen besteigt, den er offenbar einige Tage zuvor in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur gemietet hat.

Die gesamte Fahrt ließe sich per Kamera nachvollziehen - doch es gibt für die Sicherheitsbehörden keinen Grund, ausgerechnet dem 19-Tonner besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich sind Autos - auch große Fahrzeuge - überall zu allen möglichen Zeiten unterwegs.

Auffällig wird der Lastwagen erst, als er gegen 23 Uhr etwa auf Höhe des Kinderkrankenhauses an der Rue Lenval auf die Promenade des Anglais einbiegt. Am Steuer sitzt ein 31 Jahre alter Franzose tunesischer Herkunft aus Nizza.

Auf der Strandpromenade feiert eine Menschenmenge den französischen Nationalfeiertag, das Feuerwerk ist gerade vorbei. Wie das Video eines deutschen Journalisten zeigt, rollt der weiße Lkw zuerst langsam über die Promenade, doch nun erregt er Aufmerksamkeit. Einige Männer rennen dem Wagen nach. Ein Motorradfahrer holt ihn ein und stürzt offenbar. Er läuft neben dem Wagen her und erreicht beinahe die Fahrerkabine. Doch der Fahrer beschleunigt - und rast in die Menschenmenge hinein. Panik bricht aus, die Menschen versuchen zu fliehen. Augenzeugen zufolge ändert der Fahrer mehrmals die Richtung, um trotzdem möglichst viele Menschen zu erfassen.

Erst nach einer Fahrt von fast zwei Kilometern stoppt der Wagen etwa auf Höhe des Hyatt Regency Hotels, wo die Rue du Congrès in die Promenade mündet. Medienberichten zufolge gelingt es einem Passanten, den Fahrer an der Weiterfahrt zu hindern, indem er auf den Wagen aufspringt. Der Fahrer schießt um sich - und wird selbst von Sicherheitsbeamten getötet, die etliche Schüsse auf die Fahrerkabine abgeben. In dem Wagen werden dann eine nicht funktionsfähige Granate und Waffenattrappen gefunden.

Es ist der bisher schlimmste Anschlag, der unmittelbar mit einem Auto verübt wurde.

Fahrzeuge als Waffe

Dabei sind Autos als Hilfsmittel für Terroristen nicht neu. Allerdings wurden und werden sie eher als mobile Bomben eingesetzt, gefüllt mit Sprengstoff, den ein Selbstmordattentäter zum Ziel fährt und zur Explosion bringt.

Attentäter nutzen aber auch schon seit Jahren Fahrzeuge selbst als Waffe. Bislang war die Zahl der Opfer im Verhältnis etwa zu Bombenanschlägen relativ klein. Der Anschlag in Nizza mit mindestens 84 Toten hat nun eine Dimension erreicht, die zeigt, dass sich die Sicherheitsbehörden dieser Herausforderung in Zukunft noch stärker werden stellen müssen.

2006 etwa raste ein junger Mann mit einem SUV in eine Fußgängergruppe auf dem Universitätsgelände in Chapel Hill, USA, und verletzte neun Menschen. Sein Ziel war, wie er selbst später sagte, den Tod von Muslimen zu rächen.

Besonders in Israel haben palästinensische Extremisten immer wieder mit Fahrzeugen Fußgänger getötet. So gab es allein 2008 mehrere Tote und etliche Verletzte bei drei Anschlägen, die Palästinenser mit Radladern und einem Auto verübten. 2014 überfuhr ein Palästinenser einen jungen Mann in Jerusalem mit einem Bagger und verletzte fünf Menschen. Ein weiterer Palästinenser raste in diesem Jahr mit seinem Auto in eine Menschenmenge, tötete ein Baby und eine junge Frau und verletzte sieben weitere Personen. In allen Fällen wurden die Attentäter erschossen.

Aber auch in Europa ist es wiederholt zu Anschlägen mit Fahrzeugen gekommen. So tötete 2009 ein Attentäter fünf Menschen in der niederländischen Stadt Apeldoorn und verletzte zwölf weitere, als er mit einem Kleinwagen in einen Umzug zum Königinnentag fuhr. Der Niederländer hatte das offene Fahrzeug der Königin und ihrer Familie rammen wollen. Er starb an den Verletzungen, die er sich bei dem Anschlag zuzog.

2014 kam es ebenfalls zu mehreren Anschlägen mit Autos. So tötete ein zum Islam konvertierter Kanadier einen kanadischen Soldaten und verletzte einen zweiten mit seinem Wagen. Und in Frankreich kam es im selben Jahr gleich zu zwei solchen Attacken. In Dijon raste ein Attentäter in eine Gruppe von Fußgängern und verletzte elf Menschen. Kurz darauf starb ein Mensch und neun weitere wurden verletzt, als ein zweiter Attentäter in Nantes in die Besucher eines Weihnachtsmarktes fuhr.

Töten mit allen Mitteln

Auch Warnungen vor solchen Anschlägen gibt es schon lange. Denn eigentlich ist der Einsatz von Fahrzeugen - auch ohne Sprengstoff - für Terroristen naheliegend. Seit Jahren fordern Terrororganisationen wie al-Qaida und in jüngerer Zeit auch der sogenannte Islamische Staat ihre Anhänger auf, Ungläubige mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu töten. Wenn es schwierig sei, an Sprengstoff oder Schusswaffen zu kommen, könnten Fahrzeuge selbst wie Waffen verwendet werden. Sie sind zum Töten nicht weniger geeignet als etwa Messer, die ja ebenfalls immer wieder zum Einsatz kommen.

Bereits 2010 veröffentlichte das Webmagazin Inspire, das mutmaßlich vom Al-Qaida-Ableger im Jemen produziert wird, einen Text, in dem Terroristen aufgefordert wurden, Lastwagen als "Mähmaschinen" einzusetzen, um die Feinde Allahs "niederzumähen". Und 2014 riet ein Sprecher des IS, wenn nichts anderes zur Verfügung stünde, sollten die Gegner eben überfahren werden.

Zwar haben Terroranschläge meist das Ziel, möglichst viele Opfer zu fordern. Angst und Schrecken lassen sich jedoch auch verbreiten, wenn es immer wieder zu kleineren Anschlägen kommt, sodass die Menschen sich nicht mehr sicher fühlen. An Autos lässt sich darüber hinaus ohne große Probleme herankommen, mit etwas größerem Aufwand auch an Transporter oder andere große Fahrzeuge. Wohl auch deshalb handelte es sich bei den Personen, die solche Anschläge verübten, bislang um Einzeltäter - sogenannte "Lone Wolves".

Sicherheitsbehörden kennen die Gefahr

In den Städten, dort, wo Autos allgegenwärtig sind, können Terroristen sich einem Anschlagsziel relativ unauffällig nähern. Erst wenn die Fahrzeuge beschleunigen, Absperrungen durchbrechen oder in Fußgängerbereiche rasen, fallen sie auf.

Außerdem, darauf wies die US-Bundespolizei FBI bereits 2010 hin, bieten Fahrzeuge die Möglichkeit, auch mit minimalem Training oder wenig Erfahrung solche Anschläge zu verüben. Die Homeland Security in den USA warnte ebenfalls 2010 bereits davor, dass große Gruppen von Menschen bei allen Sportereignissen, Festivals oder auch in Einkaufszentren attraktive Ziele nicht nur für Bombenattentate, sondern auch für Anschläge mit Fahrzeugen sein könnten.

Sicherheitsbehörden sollten besonders wachsam sein, wenn Transporter oder ähnliche Fahrzeuge zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten auftauchen würden, insbesondere in stark besuchten Arealen. Und in einem Papier des US-Justizministeriums raten die Experten schon den Mitarbeitern von Autoverleihern, auf verdächtiges Verhalten bei ihren Kunden zu achten. Auch der Lastwagen, mit dem der Attentäter jetzt in Nizza mindestens 84 Menschen getötet hat, war gemietet worden.

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