Süddeutsche Zeitung

Amnesty zu Kriegsverbrechen im Irak:IS quält und missbraucht Jesidinnen

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Amnesty prangert IS-Verbrechen gegen Frauen und Mädchen an

Die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) verübt in ihrem Herrschaftsbereich nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen gegen Mädchen und Frauen.

Hunderte oder sogar Tausende Frauen und Mädchen der jesidischen Minderheit im Irak seien Opfer schlimmster sexueller Gewalt, teilte Amnesty in London mit. "Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt an jesidischen Mädchen und Frauen, die entführt wurden, belegen das Ausmaß der Verrohung der Gruppe, die sich selbst Islamischer Staat nennt."

Die Menschenrechtsorganisation hat einen Bericht mit dem Titel "Der Hölle entkommen" veröffentlicht. In diesem bereitet die Organisation den Inhalt von 42 Interviews mit jesidischen Frauen und Mädchen auf, die unter den Taten von IS-Kämpfern und deren Gefolge zu leiden hatten oder Zeuginnen davon wurden.

Systematische Vergewaltigungen

Dass die IS-Milizen systematisch sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen einsetzen, geht auch aus einem Flugblatt hervor, das innerhalb der Terrororganisation kursiert. Die Berichte der befragten Jesidinnen bestätigen dies:

Die 15-jährige Arwa berichtet, wie sie aus ihrem Dorf im Sindschar-Gebirge verschleppt und an verschiedene Orte gebracht wurde, bevor es ihr gelang zu fliehen: "Wir (meine 13-jährige Cousine und ich) wurden in einem Haus zusammen mit fünf anderen Mädchen festgehalten. Dort haben sie mir angetan, was sie vielen anderen angetan haben. Ich wurde vergewaltigt. Meine Cousine haben sie nicht angerührt, sie sollte einen Mann heiraten."

Den Angaben der Mädchen zufolge sind es vor allem die "jungen und hübschen" Frauen, auf die es die IS-Kämpfer abgesehen haben. Doch auch vor verheirateten Frauen mit Kindern machen sie nicht halt.

"Ich hatte meinen kleinen Sohn bei mir und meine Schwangerschaft war sehr deutlich sichtbar. Dennoch hat einer der Wächter mich als seine Frau ausgewählt. Er drohte, wenn ich der Hochzeit nicht zustimmen würde, würde er mich an einen anderen Mann verkaufen, der mich nach Syrien bringen würde. Ich konnte fliehen, bevor er seine Drohungen wahr machte." Das erzählt die 19-jährige Abla.

Erhöhte Suizidgefahr

Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts widmet sich der hohen Suizidrate unter den verschleppten Frauen. Viele der Mädchen würden versuchen, ihrer Qual durch den eigenen Tod ein Ende zu setzen. Dies bestätigten mehrere der Befragten gegenüber Amnesty International.

"Wir waren 21 Mädchen, zwei von ihnen waren erst zehn bis zwölf Jahre alt. Eines Tages gab man uns Kleider, die wie Tanzkostüme aussahen, und man befahl uns zu baden und diese anzuziehen. Jilan hat sich im Badezimmer selbst getötet. Sie hat sich die Handgelenke aufgeschlitzt und sich erhängt. Sie war sehr schön. Ich glaube, sie wusste, dass ein Mann sie mitnehmen würde und das war der Grund, warum sie sich umgebracht hat", erzählt die 20-jährige Luna. Zwei andere Mädchen, die am selben Ort festgehalten wurden bestätigten den Tod von Jilan.

Und auch nach ihrer Flucht bestehe für die Jesidinnen erhöhte Suizidgefahr, so Amnesty International. Die Angehörigen der Frauen sorgen sich, die erlittenen Traumata könnten diese in den Tod treiben.

"Meine Frau hat Panikattacken und kann nicht schlafen. Ich lasse sie nicht allein, da ich um ihre Sicherheit fürchte. Wenn ich nicht bei ihr sein kann, finde ich jemand anderen, der auf sie aufpasst", erzählt der 19-jährige Ehemann der Frau.

Stigmatisiert und ohne Rückhalt

Kehren die Frauen aus der Gefangenschaft des IS zurück, stehen sie vor einem weiteren Problem: den völlig zerstörten Gesellschaftsstrukturen der jesidischen Minderheit. Häufig befinden sich Angehörige noch in Gefangenschaft, wurden vertrieben oder getötet, so der Amnesty-Bericht. "Abgesehen von den physischen und psychologischen Qualen finden sich die Frauen aus ihrem Zuhause vertrieben wieder. Sie sind als Gäste vom Wohlwollen entfernterer Verwandter und Nachbarn abhängig, die ebenso vertrieben sind."

Hinzu kommt, dass in den besonders konservativen jesidischen Gemeinschaften die Gefangenschaft und Sexualverbrechen als Ehrverlust für die Jesidinnen gewertet werden. Auch wenn der bedeutendste spirituelle Führer der Jesiden, Baba Sheikh, die Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft dazu aufgerufen hat, die IS-Opfer wieder aufzunehmen und zu unterstützen, bleibe doch das Stigma, heißt es in dem Report. Viele der verschleppten Frauen hätten keine Möglichkeit, über das Martyrium zu sprechen, das ihnen angetan wurde, warnt Amnesty International.

Amnesty International fordert Maßnahmen

"Der körperliche und psychische Preis der furchtbaren sexuellen Gewalt, die die Opfer aushalten mussten, ist katastrophal", sagte Donatella Rovera von Amnesty International.

Die Organisation fordert die kurdische Regionalregierung, die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen auf, ihre Anstrengungen zum Schutz und zur Versorgung der irakischen Minderheiten und der Terroropfer zu verstärken. Für die betroffenen Frauen seien auch "Maßnahmen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit" sowie Traumabehandlungen nötig.

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