Süddeutsche Zeitung

Bildung in Afghanistan:Taliban verwehren Mädchen von der 7. Klasse an den Zugang zur Schule

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Die regierenden Islamisten hatten eigentlich versprochen, dass auch ältere Mädchen zur Schule gehen dürfen. Doch nun haben sie ihre Meinung geändert. Der Frust bei den betroffenen Jugendlichen sitzt tief.

Von Tobias Matern, München

Haben sie sich geändert? Diese Frage stellten sich viele Beobachter, als die Taliban im August den Westen vorführten, die Regierung in Kabul stürzten und die Macht in Afghanistan 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder an sich rissen. Inzwischen schält sich immer deutlicher heraus: Im Umgang mit Frauen und Mädchen lautet die Antwort "Nein".

Zwar hatten die Taliban in den meisten Teilen des Landes die Grundschulen offen gelassen, aber Mädchen ab der 7. Klasse wurde in den meisten Fällen der Zugang verwehrt. Eigentlich sollten mit dem Beginn des neuen Schuljahres am vergangenen Mittwoch auch sie wieder am Unterricht teilnehmen dürfen, aber die Führungsriege der Taliban entschied sich letztlich doch dagegen. Das Bildungsministerium der Taliban teilte mit, es werde nun einen Plan an den Regierungschef übermitteln, wie ein Unterricht im Einklang mit ihrer Auslegung des Islam möglich sei.

Nicht nur in den Schulen zeigen die Islamisten ihr diskriminierendes Weltbild. Am Sonntag gab das Taliban-Ministerium für die sogenannte Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters auch noch bekannt, dass Frauen und Männer in Kabul nur noch getrennt in Freizeitparks gehen dürfen. Und zuvor war bereits durchgesickert, dass Afghaninnen zwar noch fliegen dürfen, aber nur in Begleitung von Männern.

"Woran sollen wir noch glauben?"

"Es tut sehr weh, nicht mehr in die Schule gehen zu dürfen", sagte eine 13-jährige Schülerin aus Kabul der Süddeutschen Zeitung am Wochenende. "Woran sollen wir noch glauben, wenn uns schon so früh die Rechte genommen werden? Wenn uns die Welt jetzt nicht hilft, wird unser Leben zur Qual." Sie bat darum, namentlich nicht genannt zu werden, aus Furcht vor Repressionen.

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich indes zwar nicht komplett von Afghanistan abgewendet, aber längst den Fokus auf andere Krisenherde gerichtet. Zwar betonte UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet noch vor ein paar Tagen, Frauen und Mädchen von Bildung auszuschließen, verletze ihre Menschenrechte. Und auch hat der Westen finanzielle Hilfen eng mit dem Zugang für Mädchen und Frauen zu Bildungseinrichtungen verknüpft. Aber die Taliban scheint das nicht weiter zu beeindrucken, auch wenn die Regierung der Islamisten international isoliert bleibt.

Das Vorgehen erinnert an die "Zeit der Finsternis", die Jahre 1996 bis 2001, als die Taliban schon einmal in Kabul herrschten und Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannten. "Es verstößt gegen alle Grundsätze, dass den Mädchen ihr Grundrecht auf Bildung verwehrt wird", sagte eine Lehrerin aus Herat der SZ. Aus Sorge vor Repressionen bat auch sie darum, namentlich nicht genannt zu werden. Die Taliban hätten nach ihrer Machtübernahme zunächst in manchen Fällen nicht so genau hingeschaut: Schulen, die den Unterricht von Mädchen von der 7. Klasse an auch nach der Machtübernahme der Islamisten anboten, seien unangetastet geblieben - bis nun, zum neuen Schuljahr, das Verbot ausgesprochen worden sei.

Demonstration in Kabul

"Als meine Kolleginnen und ich nun zur Schule kamen, hat uns ein Talib beschimpft und uns daran gehindert, in das Gebäude zu gehen", sagte die Lehrerin aus Herat. Eine andere Lehrerin aus Kabul, auch sie bat um Anonymität, berichtete ebenfalls davon, dass die Taliban zunächst einigen Schulen für Mädchen den Betrieb nicht verboten hätten, sie seit einigen Tagen aber rigoros dagegen vorgingen. "Meine Schwestern gehen in die 10. und 11. Klasse, sie dürfen jetzt nicht mehr in die Schule", sagte die Kabuler Lehrerin. Die beiden Mädchen seien am Boden zerstört. Ihr Leben habe sich seit der Machtübernahme der Taliban drastisch verändert. Die in den vergangenen 20 Jahren errungenen Fortschritte, so befürchten es nicht nur die Lehrerinnen in Kabul und Herat, werden nun zurückgedreht.

Mehrere Dutzend Menschen protestierten am Wochenende in Kabul in der Nähe des Bildungsministeriums gegen die Entscheidung der Taliban, Mädchen den Besuch weiterführender Schulen zu verwehren. "Wir haben uns hier versammelt, um unseren gemeinsamen Schmerz auszudrücken", sagte eine Aktivistin dem afghanischen Nachrichtensender Tolonews. Die Taliban gingen nicht, wie bei früheren Kundgebungen, gegen die Frauen und Mädchen vor.

16 Außenministerinnen, darunter aus Deutschland, Großbritannien und Kanada ,verabschiedeten eine Erklärung, in der sie sich "zutiefst enttäuscht" über die Entscheidung der Taliban äußerten. Ähnliche Worte fanden zehn UN-Botschafter in New York. Thomas West, der US-Sondergesandte für Afghanistan, forderte die Islamisten auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Seine Regierung entschied, ein in Doha angesetztes Treffen mit den Taliban zu wirtschaftlichen Fragen abzusagen. Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, die im Alter von 15 Jahren ein Taliban-Attentat in Pakistan überlebt hatte, machte den Afghaninnen Mut: Für die Taliban sei es im Vergleich zu 1996 "dieses Mal viel schwerer, das Bildungsverbot für Mädchen aufrechtzuerhalten". Denn die afghanischen Frauen seien heute gebildet und selbstbewusst genug, um dagegen vorzugehen.

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