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Afghanistan-Einsatz:Nato setzte auch Drogenhändler auf Abschussliste

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Geheime Todesliste für Afghanistan-Einsatz ausgewertet

Die USA und ihre Nato-Partner gingen bei Geheimoperationen in Afghanistan offenbar häufig skrupelloser vor als bislang bekannt. So stand auf der sogenannten Joint Prioritized Effects List (JPEL) nicht nur die Führungsriege der Taliban, sondern auch viele Personen der mittleren und unteren Ebene der Terrorgruppe, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel unter Berufung auf das als geheim eingestufte Dokument berichtet.

Die vollständige Liste, die zeitweise mehr als 750 Personen umfasste und bislang nur in Auszügen bekannt war, belege unter anderem, "auf welch dünnen und teils willkürlich anmutenden Grundlagen die Streitkräfte Verdächtige für die gezielten Tötungen nominierten", so der Spiegel.

Der als "Top-Secret" gekennzeichnete Datensatz offenbart erstmals auch die Kriterien, nach denen die Nato in Afghanistan über Leben oder Tod ihrer Gegner entschied. Der Tod von unschuldigen Zivilisten wurde bei den gezielten Tötungen demnach explizit in Kauf genommen, wenn die Bedeutung des Ziels dies zu rechtfertigen schien. Als Zivilisten seien dabei lediglich Kinder, Frauen und alte Menschen betrachtet worden - Bodyguards, Fahrer und männliche Begleiter seien automatisch als feindliche Kämpfer betrachtet worden. Zynische Leitlinien, wie selbst beteiligte Militärs eingeräumt haben sollen.

Drogenhändler im Visier

Seit Oktober 2008 gehören den Angaben zufolge auch Drogennetzwerke zu den "legitimen Zielen" der Nato-Truppen in Afghanistan. Die Taliban könnten "nicht besiegt werden, ohne den Drogenhandel zu unterbinden", zitiert der Spiegel aus einem NSA-Dokument. Damit standen nicht länger nur hochrangige Taliban-Anführer, sondern auch Drogenproduzenten auf jenen Abschusslisten, die Verdächtige zur gezielten Tötung freigeben.

Dieses Vorgehen führte offenbar zu Streit innerhalb des Isaf-Bündnisses. Der deutsche Nato-General Egon Ramms habe den Vorstoß für "illegal" erklärt - er verletze internationales Recht, zitiert Ramms das Magazin.

Fahndung per Stimmerkennung

Die Nato-Kräfte setzten den Unterlagen zufolge, die unter anderem aus dem Bestand von Whistleblower Edward Snowden stammen, bei ihrer Zielerfassung in erheblichem Maße auf technische Aufklärung. So nutzten sie einem britischen Dokument zufolge ein System der Stimmidentifizierung, bei dem es ausreichte, wenn ein Verdächtiger in einem abgehörten Gespräch einmal seinen Namen nannte.

"Predator"-Drohnen und mit Sensoren ausgerüstete britische Eurofighter suchten dafür die Funksignale am Hindukusch nach bekannten Mobiltelefonnummern ab. Innerhalb der folgenden 24 Stunden galt diese Stimmenerkennung demnach als "positive Zielidentifizierung" und damit als Legitimation für einen Luftschlag - dies habe zu Verwechslungen und zum Tod von Zivilisten geführt, schreibt der Spiegel.

Aktivistin denkt über juristisches Vorgehen nach

Jennifer Gibson von der Menschenrechtsorganisation Reprieve sagte dem Spiegel angesichts der neuen Erkenntnisse, der Krieg gegen den Terror und gegen die Drogen sei in Afghanistan offenbar "faktisch verschmolzen": Das sei aus juristischer Perspektive extrem problematisch. Die Organisation will die neuen Fakten nun prüfen und über rechtliche Schritte gegen die beteiligten Regierungen entscheiden.

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